CONNOR HUGHES VERDIENTE SO WENIG, DASS ER SICH NUR EINMAL PRO MONAT PIZZA LEISTEN KONNTE – JETZT IST DER TORHüTER DIE MEISTERHOFFNUNG DES LAUSANNE HC

Einmal im Monat leistete Connor Hughes sich in Ambri am Dorfrand eine Pizza in der Osteria La Montanara. «Die beste Pizza, die ich je gegessen habe», sagt Hughes. Bestimmt schmeckte sie besser, weil der Torhüter sich den Luxus eines Restaurantbesuchs nur alle vier Wochen leisten konnte. Es war seine Ausflucht aus dem trüben Alltag.

Im Winter 2017 war das, in Hughes’ erster Saison in der Schweiz, einem Land, über das er nichts wusste. Und in dem er zufällig gelandet war: Er war Michael Lawrence, dem damaligen Torhütertrainer des HC Ambri-Piotta, bei einem Zusammenzug in Ontario aufgefallen. Er wurde für Ambri interessant, weil sein im Sommer verstorbener Grossvater einst von Luzern nach England und im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg nach Kanada ausgewandert war. Hughes besitzt deshalb auch den Schweizer Pass. «Er hatte Land erworben und auf einem Bauernhof Milchkühe gehalten. Weit und breit die einzigen, die Kuhglocken trugen», sagt Hughes.

Seine heutige Ehefrau musste Hughes während seiner Jahre im Tessin den Rücktritt ausreden

Hughes war für Ambri Füllmaterial für das Farmteam Ticino Rockets. Und für den Goalie war es die letzte Chance, doch noch auf die Karte Eishockey zu setzen. Er sagt: «Das Juniorenteam Ottawa 67s hatte mich unter Vertrag genommen. Aber ich war im Training so schlecht, dass sie mich wegschickten. Da kam das Angebot aus der Schweiz gerade recht. Ich fand das spannend.»

Er opferte für das Abenteuer nicht wenig. In Ambri wurde er oberhalb des einzigen Lebensmittelladens im Dorf einquartiert. Und bei den Rockets verdiente er um die 20 000 Franken pro Saison. Es ist ein Betrag, mit dem man hierzulande unter die Armutsgrenze fällt. Und sich nur einmal pro Monat Pizza leisten kann.

Aber es waren nicht die Finanzen, die ihm zusetzten, er sagt: «Ich sah es als Investment, als Wette auf mich selbst.» Es waren die Niederlagen. Die Rockets sind bis heute die Prügelknaben der Swiss League. In seiner ersten Saison absolvierte Hughes 21 Partien. Er gewann davon eine einzige. Im Schnitt besuchten 197 Menschen die Heimspiele. Das waren Umstände, die einem die Freude am Sport rauben können. Er sagt: «Das war hart, ich konnte mich nicht ans Verlieren gewöhnen. Ich habe es meiner damaligen Freundin und heutigen Frau zu verdanken, dass ich nicht aufgegeben habe. Sie hat mir den Rücktritt ausgeredet.»

Das hat sich eindrücklich gelohnt, der Parcours von Hughes ist eine Lehrstunde dafür, was man mit Beharrlichkeit und Demut erreichen kann. Er ist ein gutes Argument dafür, das Projekt Rockets weiterzuführen, allen sportlichen und finanziellen Sorgen zum Trotz. Noch ist nicht sicher, ob der inzwischen von Biasca nach Bellinzona umgesiedelte Klub im Herbst in seine neunte Saison starten kann. Aber aus dem Tessin ist zu vernehmen, dass die Chancen trotz dem Ausstieg des letztjährigen Partners SCL Tigers besser stehen als zuletzt angenommen.

Die Rockets haben über die Jahre viele Spieler herausgebracht. Aber kein Karriereverlauf ist so spektakulär wie jener von Hughes, der nach seinen zwei Jahren im Tessin Ersatztorhüter in Langenthal und bei Gottéron wurde. Auf diese Spielzeit hin wechselte er nach Lausanne, wo er mit einem schönen sechsstelligen Betrag entlöhnt wird. Und sich inzwischen erstmals in dieser Liga als Nummer eins etabliert hat. In der Qualifikation lag seine Abwehrquote bei 94,01 Prozent, im Play-off sind es 93,88.

Das sind Spitzenwerte, die aufhorchen lassen. Sie sind nicht zuletzt dem Umstand zu verdanken, dass der 27-Jährige in Lausanne mit Cristobal Huet und bei Gottéron mit David Aebischer arbeiten konnte. Beide heutigen Torhütertrainer waren als Spieler Stanley-Cup-Champions. Und sind Koryphäen auf ihrem Gebiet. «Sie haben mir viel beigebracht und mich ermuntert, Dinge zu verändern. Die Art, wie ich trainiere. Und auch, wie ich denke. Ich habe ihnen viel zu verdanken», sagt Hughes. Torhüter ist er einst eigentlich nur deshalb geworden, weil ein Rivale in der Schule diese Position bekleidet hatte. Und Hughes sich schwor, besser zu werden, um ihm so eins auszuwischen.

Hughes gehört zu den Kandidaten für die WM in Prag

Längst befindet sich der 1,93 Meter grosse Schlaks auch auf dem Radar von Patrick Fischer. Der Nationalcoach erwähnte Hughes jüngst explizit, als er nach potenziellen Kandidaten für die WM vom Mai in Prag gefragt wurde. Im Dezember 2022 hat Hughes seine ersten Länderspiele bestritten.

Es ist spät geworden in Lausanne an diesem Donnerstagabend. Gerade hat der LHC den ZSC Lions nach neun Siegen in Folge die erste Niederlage beschert und die Finalserie ausgeglichen. «Verrückt, was in dieser Stadt los ist, was dieser Klub den Menschen bedeutet», sagt der Captain Michael Raffl, ein Österreicher mit reichlich NHL-Erfahrung. Ein paar Meter entfernt steht Hughes, der sich durch die blonden Haare streicht, während er seine Gedanken sortiert. Dann sagt er: «Das hier, das war immer der Traum. Deshalb habe ich das alles auf mich genommen. Krass, dass ich das erleben darf.»

Es ist möglich, dass diese Tellerwäschergeschichte in ein paar Tagen ein rührseliges Happy End wie nach Hollywood-Drehbuch erhält. Dann, wenn Lausanne den grossen Favoriten ZSC düpiert. Es ist ein Szenario, welches heute nicht zuletzt dank Hughes realistischer scheint als noch vor ein paar Tagen. Gelingt ihm der Coup, wird er in dieser Stadt nie mehr für eine Pizza bezahlen müssen.

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