DER DEUTSCHE NATIONALSPIELER ANTONIO RüDIGER äUSSERT SICH ZUR UMSTRITTENEN GESTE. DIESE WIRD AUCH VON ISLAMISTEN GEBRAUCHT

Ein erhobener Zeigefinger ist per se keine sympathische Geste. Wer sich ihrer bedient, der tritt nicht selten anklagend auf, häufig mit einem moralisierenden Unterton. Er will seine Mitmenschen in die Pflicht nehmen.

Ob der deutsche Fussball-Nationalspieler Antonio Rüdiger solche Absichten hatte, ist nicht bekannt. Der Spieler ist praktizierender Muslim, was schon sein Anblick erahnen lässt. Vor einigen Jahren hat er sich einen Bart wachsen lassen, wie ihn streng gläubige Muslime tragen. Vor rund zwei Wochen zeigte er sich auf seinem Instagram-Kanal mit ausgestrecktem Zeigefinger zum Beginn des Ramadans – auf einem Gebetsteppich kniend, in religiöser Kleidung. Allen Muslimen wünsche er einen gesegneten Ramadan, schrieb Rüdiger.

Es dauerte eine Weile, bis Rüdiger, der am Dienstag im Spiel der Deutschen gegen die Niederlande in der Startformation erwartet wird, dafür medial Beachtung geschenkt wurde. Das Online-Portal Nius griff den Eintrag auf und skandalisierte die Geste: «Nationalspieler Rüdiger zeigt Islamistengruss von Isis.»

Mehrere Tage hat Rüdiger geschwiegen. Nach den beiden Länderspielen in den vergangenen Tagen, hat er sich nun in einer Stellungnahme gegenüber «Bild» zum Vorfall geäussert. Er schrieb, dass er sich von jeglicher Art von Extremismus und den Islamismus-Vorwürfen distanziere . Er stehe für Frieden und Toleranz ein. In der Stellungnahme räumte er ein, dass sein Beitrag in den sozialen Netzwerken «Dritten die Chance gegeben habe», seine Botschaft «bewusst falsch auszulegen, um zu spalten und zu polarisieren».

Mittlerweile haben Rüdiger und der Deutsche Fussballbund (DFB) mitgeteilt, dass sie gegen den verantwortlichen Journalisten von Nius juristisch vorgehen werden. Laut der Mitteilung hat Rüdiger bei der Berliner Staatsanwaltschaft eine Strafanzeige gestellt. Der DFB teilte mit, er habe die Angelegenheit bei der Zentralstelle für Bekämpfung der Internetkriminalität der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main gemeldet. Der Nius-Journalist Julian Reichelt wiederum erklärte, seine Darstellung beibehalten zu wollen.

In den Tagen zuvor hatte auf X recht lebhafte Debatte stattgefunden, die nicht ohne Schärfe auskam. Denn die Geste ist alles andere als eindeutig. Der sogenannte Tawhid-Finger galt einmal als ein Zeichen traditioneller Muslime. Von diesen wird er nach wie vor während eines Gebets verwendet. Inzwischen aber ist er von Extremisten und Terroristen gekapert worden. Anis Amri, der Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz, zeigte sich mit dem Gruss, ebenso ein Mörder aus Duisburg, der aus islamistischen Motiven tötete. Zahlreiche Videos kursieren, auf dem die Terroristen des IS den Zeigefinger in die Höhe strecken.

Es ist also kein triviales Zeichen. Und genau das macht die Sache kompliziert. Darüber, wie die Pose Rüdigers zu bewerten ist, wird nicht nur von Laien gestritten, sondern auch von Fachleuten. Der Autor Hamed Abdel-Samad etwa, ein scharfer Kritiker des Islamismus, der in Deutschland permanent unter Polizeischutz steht, nahm Rüdiger auf X (vormals Twitter) in Schutz: «Antonio Rüdiger hat meine Solidarität. Ich finde es abscheulich, gegen ihn wegen einer harmlosen Geste zu hetzen, während man die wahren Islamisten im Lande in Ruhe lässt und sogar politisch hofiert. Entspannt euch ein bisschen!»

Eine Expertin spricht von «salafistischer Bildsprache»

Die Ethnologin Susanne Schröter vom Forschungszentrum Globaler Islam an der Goethe-Universität Frankfurt indes hält Rüdigers Auftreten im Gespräch mit der NZZ für problematisch: «Antonio Rüdiger bedient sich einer salafistischen Bildsprache, die wenig zu tun hat mit der eines ausgestreckten Zeigefingers im Sinne des Tawhid, wie er auch von gläubigen Muslimen während des Gebetes verwendet wird. Es handelt sich hier aber nicht um ein Gebet, sondern um eine reine Inszenierung, die sich an den Betrachter wendet und von diesem verstanden werden soll.»

Eine Position dazwischen nahm der Extremismusexperte Ahmad Mansour ein: «Diese Geste wurde von Islamisten vereinnahmt und für sich beansprucht. Es ist falsch, solchen Extremisten die Deutungshoheit zu überlassen.» Mansour nahm zugunsten Rüdigers auf X an, dass mit dessen Instagram-Eintrag Dinge verbunden würden, «die Antonio Rüdiger bestimmt nicht beabsichtigt hat».

Ist Rüdiger sich also gar nicht darüber im Klaren, welche Botschaft er da sendet? Das ist genauso möglich wie das Gegenteil. Seine Kritiker allerdings können darauf verweisen, dass es nicht das erste Mal ist, dass Rüdiger zu reden gibt. 2020 versah er auf Instagram ein Foto mit einem Like, das ein weltbekannter Mixed-Martial-Arts-Kämpfer veröffentlicht hatte. Es zeigte den französischen Präsidenten Emmanuel Macron, auf dessen Gesicht der Abdruck einer Schuhsohle zu sehen war. Kurz zuvor hatte Macron dem Islamismus in Frankreich den Kampf angesagt, nachdem der französische Lehrer Samuel Paty von einem Extremisten ermordet worden war. Die Bildunterschrift in russischer Sprache lautete: «Und möge Allah all diejenigen bestrafen, welche die Ehre der besten Menschen des Propheten Mohammed verletzen.»

Rüdiger entschuldigte sich damals für seinen Like. Er teilte mit, dass man keine Sachen mit Zustimmung versehen sollte, die in einer Sprache abgefasst seien, die man selber nicht verstehe. Er wolle sich klar von diesen Inhalten distanzieren.

Der DFB war nachsichtig mit Rüdiger

Der DFB begnügte sich seinerzeit mit Rüdigers Erklärung. Das ist insofern interessant, als das Bild mit Macron gar nicht misszuverstehen war. Es wäre genauso gut ohne Text ausgekommen – es spricht für sich. Die Milde des DFB überrascht auch, da der Verband für gewöhnlich keine Gelegenheit auslässt, sich als Organisation zu präsentieren, die Gewalt und Extremismus nicht toleriert.

Nahezu ohne Unterlass wird im DFB für «Offenheit, Vielfalt und Toleranz» geworben – es klingt fast nach einem zivilreligiösen Bekenntnis. Welche Folgen solche Diskussionen zeitigen, musste die deutsche Nationalmannschaft an der Weltmeisterschaft in Katar erfahren, als sich die Debatten um die sogenannte One-Love-Binde nicht unbedingt als leistungsförderlich erwiesen.

Auch veröffentlichte Rüdiger zur Reise mit dem deutschen Nationalteam in die USA einen Post, den er mit der Unterschrift «First Step!!» versah. Es war nur wenige Tage nach der Terrorattacke der Hamas auf Israel. Unter dem Foto fanden sich Hunderte von Kommentaren mit der Parole «Free Palestine.» Der Aufforderung seiner Follower, sich zugunsten der Palästinenser zu positionieren, kam Rüdiger indes nicht nach.

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