DIE BASKETBALLERIN BRITTNEY GRINER SITZT IM RUSSISCHEN ARBEITSLAGER UND WIRD ZUM POLITISCHEN SPIELBALL – IN EINEM BUCH BERICHTET SIE üBER IHRE «PERSöNLICHE HöLLE»

Brittney Griners Albtraum begann in einem Land, das sie zu kennen glaubte. Auf einer Reise, von der sie wünschte, sie hätte sie nie unternommen. Es ist der 17. Februar 2022. Griner, eine der besten Basketballerinnen der Welt, fliegt von Arizona nach Russland. Die Amerikanerin spielt dort für den Klub Jekaterinburg, bei dem sie nach Saisonende der Women’s National Basketball Association (WNBA) anheuert. In Russland verdient sie Millionen, logiert in den besten Hotels, geniesst ein Leben als Superstar.

In Moskau steigt Griner um. Normalerweise ist der Kontrollbereich für den Anschlussflug leer, doch an diesem Tag wimmelt es von Zollbeamten. Sie tragen Uniform, einige sogar blaue Militäranzüge. Griner denkt: «Was zum Teufel ist hier los?»

Sie wird von einem Zöllner aufgefordert, ihren Rucksack zu öffnen. Als sie den letzten Reissverschluss öffnet, ertastet Griner zwei Vape-Kartuschen. Darin befinden sich 0,7 Gramm Cannabisöl. In den USA ist Griner lizenzierte Cannabiskonsumentin, sie verwendet das Öl gegen Schmerzen. In Russland ist Cannabis strengstens verboten.

Griner beteuert, sie habe die Kartuschen versehentlich eingepackt, doch die russischen Beamten glauben ihr nicht. Griner realisiert: Sie hat einen entsetzlichen Fehler gemacht.

«Ich hatte der Welt eine Waffe geliefert»

Griner wird verhaftet, im August 2022 verurteilt sie ein russisches Gericht wegen illegalen Drogenbesitzes und versuchten Schmuggels zu neun Jahren Gefangenenlager.

Der Fall wird hochpolitisch: Der amerikanische Präsident Joe Biden schaltet sich ein, die USA und Russland einigen sich auf einen Gefangenenaustausch. Im Dezember 2022 kommt sie frei – im Austausch für den russischen Waffenhändler Viktor Bout.

Griner schwieg zunächst über ihre Erfahrungen in russischer Haft. Diese Woche hat sie im Buch «Coming Home» ihre Erinnerungen daran veröffentlicht. Auf 320 Seiten berichtet sie von den 293 Tagen, die sie in Gefangenschaft verbracht hat. «Coming Home» liefert Einblicke in Griners innere Kämpfe als 2 Meter 6 grosse afroamerikanische Frau, in ihre lesbische Ehe, in ihren neu entdeckten Glauben an Gott. In erster Linie aber zeigt das Buch, was es bedeutet, in russische Gefangenschaft zu geraten. Griner schreibt wiederholt von einer «persönlichen Hölle».

Ihr grobes Versehen machte sie zu einem geopolitischen Spielball. Sieben Tage nachdem sie inhaftiert worden war, startete der russische Präsident Wladimir Putin den Krieg in der Ukraine. Der Zeitpunkt ihrer Verhaftung hätte nicht schlechter sein können, schreibt Griner: «Es tat mir weh, weil ich wusste, dass ich der Welt eine Waffe übergeben hatte.»

Griner verbrachte die ersten Monate in einem Frauengefängnis, zwei Stunden von Moskau entfernt. Sie litt an Panikattacken, konnte nicht schlafen, begann zu rauchen. Krankheiten wie HIV, Chlamydien oder Herpes zirkulierten im Gefängnis. Griners russische Zellennachbarin Alena machte die Zeit im Frauengefängnis etwas erträglicher. Sie übersetzte die Befehle des Gefängnispersonals, wurde zu einer Freundin.

Im Gefängnis wurde Griner wegen ihrer Homosexualität und ihres androgynen Aussehens schikaniert. Die Wärter machten anzügliche Witze, fragten sie nach ihren Genitalien. Sie wurde einem psychiatrischen Gutachten unterzogen, Griner fürchtete, in eine Psychiatrie eingewiesen zu werden. Eine Gefängnisangestellte fragte sie nach «kranken Gedanken». Eine andere Wächterin riss das Handtuch von ihrer Brust, fragte, ob Griner als Mann geboren worden sei.

Umstrittener Gefangenenaustausch

Nach der Urteilsverkündung im August 2022 wurde Griner in das Straflager IK-2 in Mordwinien gebracht, einen umgebauten Gulag. Die Kommunisten hatten einst mit den Arbeitslagern ein sowjetisches Strafsystem für zwanzig Millionen Menschen geschaffen. Offiziell sind die Gulags in Russland abgeschafft, aber Putin lässt seine Gegner noch immer in diesen abgeschiedenen Straflagern verschwinden.

Griner berichtet von prekären Verhältnissen, manche Insassinnen hätten täglich fünfzehn Stunden schuften müssen. Sie selbst arbeitete in der Näherei, einem fabrikähnlichen Gebäude, in dem sich Nähmaschinen aus der Sowjetzeit aneinanderreihten. Ihre Aufgabe: die Fäden für die Knöpfe abzuschneiden; für die Arbeit an den Nähmaschinen war sie zu gross. Der Raum war ungeheizt, Toiletten-Pausen waren verboten, wer beim Nähen Fehler machte, wurde von den Aufsehern beschimpft. Eine Gruppe Näherinnen musste täglich 500 Militäruniformen anfertigen.

Ende November 2022 erhielt Griner einen Anruf der amerikanischen Botschaft. Sie erfuhr, dass Gespräche über einen Gefangenenaustausch liefen. Plötzlich ging alles schnell. Am 2. Dezember wurde sie in einen Transporter geladen, vier Männer bewachten sie. Sie fuhren acht Stunden durch die Dunkelheit, dann hielt der Transporter. Griner wurde bei einem Männergefängnis ausgeladen, in eine Zelle gesperrt. Ein Wächter steckte ihr einen Zettel zu: «Du gehst heute Nacht.»

Am nächsten Morgen wurde Griner in einen Untersuchungsraum gebracht. Sie musste sich ausziehen. Die Wachen begannen sie aus jedem Winkel zu fotografieren. Griner wurde anschliessend zu einem Flugzeug gefahren, ohne zu wissen, wohin sie gebracht wird.

Das Flugzeug landete in Abu Dhabi. Roger Carstens, Bidens Sonderbeauftragter für Geisel-Angelegenheiten, begrüsste sie. Er überreichte ihr eine Anstecknadel mit der Aufschrift «We are BG» – wir sind Brittney Griner. Griners Ehefrau Cherelle und ihre Assistentin Lindsay hatten diesen Slogan erschaffen, er ging viral, erreichte sogar Präsident Biden.

Aus einem anderen Flugzeug stieg Viktor Bout, ein russischer Krimineller, der Waffen aus der Sowjetzeit an Bürgerkriegsländer weiterverkauft hatte, auch amerikanische Soldaten sollen durch von ihm verkaufte Waffen umgekommen sein. Griner und Bout schüttelten sich die Hand. Dann bestieg Griner das Flugzeug, das Bout gerade verlassen hatte, flog ab in die USA.

Bout war einer der meistgesuchten Männer der Welt, bis er 2008 in den USA festgenommen wurde. Dass er freikam, sorgte in den USA für Empörung. Griner wurde in den sozialen Netzwerken beschimpft, als unpatriotisch dargestellt, manche sagten, sie wäre besser in Russland geblieben.

In den Augen vieler Amerikaner war Griner mitschuldig an ihrer Verhaftung. Und: Sie ist eine lesbische Afroamerikanerin, gehört einer Minderheit an. Griner schreibt, nicht alle Geiseln seien gleich. Während einige die Sympathie der Öffentlichkeit gewännen, würden andere verachtet. Sie sagt: «Für manche bin ich allein durch mein Schwarzsein schuldig geworden.»

In einem Interview mit dem amerikanischen Fernsehsender ABC News sagt Griner, sie habe die Schikanen des Straflagers bis heute nicht verarbeitet. Am schlimmsten seien die Schuldgefühle, sagt sie, ihre Augen füllen sich mit Tränen, die Stimme bricht: «Ich habe alle enttäuscht, meine Familie, mein Team, meine Fans. Damit werde ich immer noch nicht fertig.» Griners Weg in die Freiheit ist noch lang.

Brittney Griner, Michelle Burford: Coming Home. Alfred-A.-Knopf-Verlag, New York 2024. 320 S., Fr. 39.90.

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