DIE KLUBS DER HELDEN UND PATRONE: BAYERN MüNCHEN GEGEN REAL MADRID IST DER KLASSIKER DES WELTFUSSBALLS

Vor ein paar Wochen erzählte Iker Casillas, ehedem sehr erfolgreicher Torhüter Real Madrids und der spanischen Nationalmannschaft, dass das grosse Duell in Europas Klubfussball nicht mehr Bayern München gegen Real Madrid heisse, sondern Real Madrid gegen Manchester City. Da hatten sich die Bayern allerdings noch nicht für den Halbfinal gegen Real qualifiziert, dessen Hinspiel am Dienstag im Münchner Stadion stattfindet.

Dass Casillas falschliegt, zeigt schon die Statistik. Mit 26 Partien ist die Begegnung in der Tat das häufigste Duell der Europacup-Geschichte. Zwölf Siege für Real, elf für die Bayern, drei Remis. Torverhältnis: 40:39 für Madrid.

Alle Duelle fanden im Europacup der Landesmeister beziehungsweise in der Champions League statt. Nur zwei Matches davon waren Gruppenspiele. Nach gewonnenen K.-o.-Runden steht es 7:5 für Madrid. Sieben dieser zwölf K.-o.-Duelle waren Halbfinals. Beide Klubs sind auch die Vereine mit den meisten Halbfinal-Teilnahmen in der Geschichte des wichtigsten Klubwettbewerbs: 33 Mal schaffte es Real Madrid in die Runde der letzten vier, 21 Mal der FC Bayern.

Ist das alles blanker Zufall? Oder liegt das vielleicht auch daran, dass sich die beiden Klubs in wesentlichen Punkten sehr ähnlich sind? Der FC Bayern und Real Madrid haben sehr viel mehr gemeinsam, als es auf den ersten Blick scheint. Und vor allem sind sie die einzigen Klubs, die der Dominanz der englischen Premier League und insbesondere den mit arabischem Geld finanzierten Vereinen trotzen können.

Die Spieler prägen die Klubs

Seit den Zeiten des «weissen Balletts» steht Real Madrid für Heldenfussball. Bei der Tanzgruppe, die mit den ersten fünf Europacup-Siegen zwischen 1956 und 1960 den königlichen Mythos begründete, gab der Hispano-Argentinier Alfredo Di Stéfano den Takt an. Ihm zur Seite standen Raymond Kopa, Ferenc Puskás oder Francisco Gento. In den 2000er Jahren wurde die Idee mit dem Real der «Galaktischen» wiederaufgelegt – mit Zinedine Zidane, Luís Figo, David Beckham, Raúl und Ronaldo.

Real ist mit Stars wie Cristiano Ronaldo, Karim Benzema oder neuerdings Vinícius Júnior und Jude Bellingham ein Heldenklub geblieben. Wohl in keiner anderen Spitzenmannschaft Europas geniessen Individualisten so viele Freiheiten. Gleichzeitig sorgen Teamplayer wie der Regisseur Toni Kroos oder bis vor kurzem der Abwehrchef Sergio Ramos für die richtige Balance.

Zwar kann der FC Bayern mit einer solchen Häufung von Auserwählten, nicht ganz konkurrieren. Dennoch kommen die Bayern dem Bild eines Klubs, der von seinen Stars geprägt wird, international wohl am nächsten.

Dafür steht nicht nur die legendäre Achse mit dem Torhüter Sepp Maier, dem beispiellos erfolgreichen Goalgetter Gerd Müller und der Überfigur Franz Beckenbauer, die in den 1970er Jahren dreimal den Europacup der Landesmeister gewann.

In den achtziger Jahren bestimmte Lothar Matthäus das Spiel des deutschen Rekordchampions, später Stefan Effenberg. Illustres Personal prägte auch die jüngste Vergangenheit und die Gegenwart – mit dem Stürmer Robert Lewandowski, mit Bastian Schweinsteiger und den Aussenstürmern Arjen Robben und Franck Ribéry. Dazu kommen die Torhüter-Ikone Manuel Neuer und der englische Weltstar Harry Kane.

Die Erfolgstrainer waren väterliche Figuren

«Konzepte sind Kokolores» – dieser Satz, der dem ehemaligen deutschen Nationaltrainer Erich Ribbeck zugeschrieben wird, scheint für Real und Bayern im Besonderen zu gelten, wenn es um die Trainer geht. Diejenigen, die in Madrid und München Erfolg hatten, sind keine Tüftler am allerletzten Detail, die sich unentwegt am Kopf kratzen.

Wer in München oder Madrid reüssiert, ist in der Regel ein Virtuose des Augenblicks, ein Trainer, der den Spielern die Bühne überlassen und sich zurücknehmen kann. Das ist eine rare Sorte. Reals acht Titel in der Champions League wurden mit Jupp Heynckes, Vicente del Bosque (2), Carlo Ancelotti (2) und Zinedine Zidane (3) gewonnen – sie alle sind Trainer, die dem Modell des väterlichen Spielerfreunds und Kabinenmanagers zugerechnet werden können.

Die Champions-League-Trophäen der Bayern gewannen Ottmar Hitzfeld, Jupp Heynckes und Hansi Flick, die ebenfalls als Herbergsväter für Fussball-Millionäre durchgehen können. Solche Fachkräfte haben spezielle Charaktereigenschaften: Sie müssen uneitel genug sein, um eine zeitweise irrlichternde Führungsetage ertragen zu können. Und sie müssen ausgleichend sein, um die grossen Egos in der Mannschaft zu besänftigen, gleichzeitig aber resolut, damit sie von den Spielern ernst genommen werden.

Zwar scheiterten Trainer aus der Kategorie der Taktikfüchse nicht immer, wie das dreijährige Engagement von Josep Guardiola in München zeigt. Doch jüngst bekundete selbst ein so versierter Trainer wie Thomas Tuchel Mühe mit der Münchner Vereinsführung. Tuchel ist eben nicht für seine diplomatische Art, sondern für seine klaren Ansagen bekannt.

In der Führungsetage herrscht Kontinuität

Der Fluktuation auf der Trainerbank steht, historisch gesehen, eine enorme Stabilität in der Führungsetage der beiden Klubs gegenüber. Die Madrilenen sind ein präsidialer Klub par excellence. 12 der 14 Europacup-Titel wurden unter zwei Männern gewonnen.

Die ersten sechs Titel gelangen unter dem mythischen Santiago Bernabéu, der von 1943 bis zu seinem Tod 1978 Präsident war. Bernabéu, ein Unterstützer des rechten Franco-Lagers im Spanischen Bürgerkrieg, trieb trotzdem Reals Internationalisierung zur Zeit der Franco-Diktatur voran. Unter ihm wurde Real der Weltklub, der er noch heute ist.

Den heutigen Präsidenten Florentino Pérez (2000 bis 2006 und wieder seit 2009) verfolgte seit je die Obsession, in einem Atemzug mit Bernabéu genannt zu werden. Das Ziel dürfte er erreicht haben. Der Chef des Baukonzerns ACS, der mächtigste Unternehmer Spaniens, hat den Klub völlig auf seine Person zugeschnitten.

Ganz ähnlich hat es Uli Hoeness in München getan, der langjährige Manager und spätere Präsident des FC Bayern. Er verkörpert den FC Bayern wie kein anderer, und obschon er nicht mehr im Amt ist, bleibt sein Einfluss gross.

Hoeness prägte die Bayern nach den erfolgreichen siebziger Jahren, er führte sie aus einer Krise, machte sie zum Weltklub. Allerdings hatte er zeitweise tatkräftige Unterstützung: Hoeness, der ein Freund der ausufernden Exekutive ist, wurde einst Karl-Heinz Rummenigge als CEO zur Seite gestellt.

Auch in der gegenwärtigen Krise der Münchner griffen die Altvorderen ein. Wer jüngst sah, wie Hoeness gegenüber dem Trainer Thomas Tuchel nachtrat, dessen Trennung vom FC Bayern schon beschlossene Sache ist, der kann auf den Gedanken kommen, dass mit einer derart gutherrschaftlichen Klubführung bei aller Kontinuität Probleme geschaffen werden: Wen befinden mächtige Männer schon für würdig, ihre Nachfolge anzutreten?

Die Finanzen – legendär wie der Nibelungenschatz

Beide Klubs sind eigenständig, sie haben keinen Mäzen, sondern finanzieren sich aus eigener Kraft. Zwar haben die Bayern, anders als Real, 25 Prozent der Anteile an die sogenannten strategischen Partner Adidas, Allianz und Audi veräussert. Dennoch sind die Münchner Herr im eigenen Haus.

Die finanzielle Unabhängigkeit verschafft beiden Klubs Souveränität, genauso wie die vereinseigenen Stadien. Das Münchner Stadion ist längst schuldenfrei, Real hat zur Finanzierung des Umbaus vor einigen Jahren einen Teil der Einnahmen abgetreten.

Legendär wie der Nibelungenschatz im Rhein ist das Festgeldkonto der Bayern, auf dem angeblich immer noch mehr als 100 Millionen Euro schlummern. Mit 854 Millionen Euro Umsatz stehen die Münchner blendend da, schuldenfrei sind sie ohnehin, das Eigenkapital liegt bei 533 Millionen Euro.

In der gleichen Sphäre wirtschaftet auch Real (831,4 Millionen Euro Umsatz, 558 Millionen Eigenkapital), wobei die Madrilenen einmal nahe am Bankrott waren. Als Präsident Pérez 2000 übernahm, nutzte er seine Kontakte in die Madrider Politik, um das Trainingsgelände als Bauland neu bewerten zu lassen – und sanierte so den Klub.

Wo einst die Real-Spieler schwitzten, stehen nun die vier höchsten Wolkenkratzer Madrids. Im Volksmund werden sie Zidane, Figo, Ronaldo und Beckham genannt, weil deren Akquise so finanziert wurde. Das Geheimnis der Solidität besteht ähnlich wie bei den Bayern nicht zuletzt in einer strikten Überwachung der Payroll. Drohen Forderungen eines Spielers das Gefüge zu sprengen, wird ihm die Tür gewiesen – selbst wenn es sich wie 2018 bei Cristiano Ronaldo oder 2021 bei Sergio Ramos um Klubikonen handelt.

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