GEFANGEN IN EINEM SPANNUNGSFELD – DER SAUBER-RENNSTALL HAT IN DER FORMEL-1-WM EINEN GLATTEN FEHLSTART HINGELEGT

Xevi Pujolar, der Chefingenieur des Sauber-Teams an der Rennstrecke, ist ein Mann der Kennzahlen. Deshalb hat der Spanier gleich hochgerechnet, was die vor zwei Wochen verkündete, nun hundertprozentige Übernahme des Schweizer Formel-1-Rennstalls durch den Automobilhersteller Audi für sich und seine Mannschaft bedeutet: Die finanzielle Injektion, die in einem mittleren neunstelligen Franken-Bereich liegen dürfte, kommt auch schon der Rennwagentechnik bis 2026 zugute.

Dann wird das Team erstmals offiziell unter dem Logo mit den vier Ringen antreten. Bei Audi spricht man davon, die Vorbereitung für einen erfolgreichen Start der Marke in der Königsklasse damit schon jetzt zu beschleunigen. Aber Pujolar ist bei aller Vorfreude auch Realist: «Sicherlich ist das ermutigend für die Zukunft. Doch wir müssen auch an die Gegenwart denken.»

Und die sieht zu Beginn dieses Grand-Prix-Wochenendes in Australien weniger rosig aus. Nach zwei WM-Rennen ist die Truppe aus Hinwil noch punktlos, was angesichts der grossen Hoffnungen in den komplett neu konstruierten C44-Rennwagen eine enorme Enttäuschung ist. Valtteri Bottas landete auf den Rängen 19 und 17, der Teamkollege Guanyu Zhou auf den Plätzen 11 und 18. Ein glatter Fehlstart.

Auf Zeit spielen hat im schnellen Renngeschäft noch nie funktioniert

Der Teambevollmächtigte Alessandro Alunni Bravi hatte stets betont, dass die neue Saison kein weiteres Übergangsjahr sei, in der das Augenmerk vor allem darauf liege, die Rennfabrik weiter auf die Massstäbe eines Werksteams aufzurüsten. Doch genau danach sieht es nun aus. Die Warteschleife droht zur Endlosschleife zu werden, wenn sich nicht bald Erfolg einstellt. Auf Zeit spielen hat im schnellen Renngeschäft noch nie funktioniert. «Wir müssen einfach einen besseren Job machen», sagte Alunni Bravi in Melbourne.

Das eindeutige Bekenntnis von Audi – nach vielen Querelen im Konzern und der Abberufung beider Vorstände, die im Herbst 2022 das Formel-1-Projekt verkündet hatten – mag neue Zuversicht verbreiten und Energie freisetzen. Aber der Rückstand zuletzt in Jidda verstärkt die gegenwärtigen Sorgen.

Für Bottas, der wie Zhou als Stammfahrer nicht unumstritten ist und einen Vertrag noch bis zum Saisonende hat, war das Rennen in Saudiarabien ein «Alarmsignal». Er weiss: Es braucht dringend bessere Entwicklungen. Im Durchschnitt fehlten dem Team im Rennen gut zwei Sekunden pro Runde auf den Spitzenreiter Red Bull Racing, nur das Alpine-Team war zuletzt noch schlechter. Die veränderte Designphilosophie und ein neues Aufhängungssystem der Vorderräder werfen noch zu viele ungelöste Fragen auf. Nun in Australien, beim Auftritt im Land des Hauptsponsors, wird es zur Pflicht, dass sich das Potenzial des Autos stärker entfaltet.

Gerade das Mittelfeld der Formel 1 ist in dieser Saison besonders hart umkämpft, auch Mercedes fand sich urplötzlich dort wieder. Die Stimmungslage bei Sauber ähnelt der beim ehemaligen Champion-Team, nur auf anderem Niveau: Der wichtigste Erfolg für Sauber wäre, das Vertrauen in seine Fähigkeiten zurückzugewinnen. Doch desaströse Boxenstopps wie bei Zhou, als sich eine Radmutter festgefressen hatte, tragen kaum dazu bei. Es ist eine Summe von Problemen, die dem Rennstall zu schaffen machen.

Der neue Teamchef wirbt Fachleute von den grossen Teams ab

Mit dem Deutschen Andreas Seidl, der im Zuge der kompletten Übernahme nun offiziell als Teamchef von Audi bestätigt worden ist, wirkt im Hintergrund einer der angesehensten Rennstallmanager. Er wirbt zurzeit grossflächig Fachleute von den grossen Teams ab, um die Sauber-Mannschaftsstärke auf 900 Personen zu steigern. Das letzte Drittel fehlt noch, auch weil von den Konkurrenten einiges an Personal noch gesperrt ist.

Seidl kann an der Verhandlungsfront auch andere Erfolge vorweisen. So wurde der Budget-Cap für 2026 an die gegenwärtige Stärke des Schweizerfrankens angepasst, um einen fairen Ausgleich zu schaffen, etwa gegenüber den britischen Teams. Es geht dabei zum Beispiel um Lohnkosten; real bezahlte 150 000 Franken schlagen bei Sauber in der Bewertung nur mit 100 000 Franken zu Buche. Inwiefern Seidl, der bisher nur Stippvisiten an die Rennstrecken unternommen hat, sich stärker ins Tagesgeschäft einmischen wird, bleibt vorderhand offen. Auch er ist im Spannungsfeld zwischen Gegenwart und Perspektive gefangen.

Das starke Bekenntnis von Audi bringt auch einen neuen Chef für die Verwaltungsräte der Sauber-Gruppe mit sich. Der Ingolstädter Oliver Hoffmann übernimmt den Vorsitz, nachdem er vom neuen Audi-Chef Gernot Döllner aus dem Vorstand komplimentiert worden ist. Er soll auf einer neuen Führungsebene zwischen Konzern und Team wirken und die Gesamtverantwortung für das Projekt wahrnehmen.

Ungeklärt bleibt, warum der bisherige Mehrheitseigner Finn Rausing, der einst das Sauber-Imperium vor dem finanziellen Untergang gerettet hat, auf seine Sperrminorität von 25 Prozent der Anteile verzichtet. Vermutlich war der Druck von Audi, das alleinige Bestimmungsrecht zu bekommen, einfach zu gross. Der Schwede hatte sich diese Klausel zunächst zusichern lassen, damit die Teambasis in der Schweiz garantiert ist und der Rennstall nie zum Spielball von Investoren werden kann, was mit der geplanten Übernahme durch den amerikanischen Rennstall Andretti vor einigen Jahren drohte. Angesichts der weiter gewachsenen Popularität der Formel 1 dürfte der Verkauf für den 68-jährigen Rausing vermutlich kein Minusgeschäft gewesen sein.

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