«ICH BIN NICHT GERN EIN STAR»

Unser Ski-König erobert Österreich! Marco Odermatt sorgt für mächtig Aufregung in den Strassen von Saalbach-Hinterglemm. Wir haben ihn beim Weltcupfinal begleitet und wissen nun: Der Mann hat kaum Ferien und sein Bankkonto fest im Griff.

Der Sonntag beginnt für Marco Odermatt (26) spät. Er darf ausschlafen. «Für einmal ohne Wecker aufstehen, eine tolle Abwechslung», so der Ski-Superstar lachend. Die zusätzlichen Stunden Schlaf kommen dem Gesamtweltcup-Sieger gelegen.

Sichtlich relaxt verlässt er um 14.33 Uhr das Teamhotel im österreichischen Saalbach-Hinterglemm – durch den Vordereingang! Im 400 Meter entfernten Sportgeschäft wird er für eine Autogrammstunde erwartet. Die Enttäuschung vom Vortag, als er im Riesenslalom ausgeschieden ist – nach Siegen in sämtlichen vorangegangenen Saisonrennen der Disziplin –, ist ihm nicht anzumerken.

«Hoi zäme», ruft er uns zu. Blitzartig erkennen ihn die ersten Passanten. «Ist das nicht der Odermatt?», flüstert eine Frau ihrer Begleitung zu. Diese nickt überrascht. Andere suchen verzweifelt ihr Handy in der Handtasche. Bis zum ersten Selfie-Wunsch dauert es keine 15 Sekunden. «Ja, aber bitte schnell», so Odermatt. Den nächsten Fan muss er vertrösten. «Ich habe keine Zeit, sorry.»

Nein sagen, etwas, das Odermatt lernen musste. «Mittlerweile setzt er klare Grenzen», erklärt sein Manager Michael Schiendorfer, der ihn seit acht Jahren begleitet. Im Ausgang gibt es keine Selfies, genauso wie beim Essen mit Freundin Stella Parpan oder Kollegen.

Wie spricht man Odermatt an?

Der Rummel um den Olympiasieger erreicht kurz vor dem Sportgeschäft seinen Höhepunkt. Alle schauen dem Ski-König nach, viele versuchen verstohlen, ein Handybild zu erhaschen. Als Begleitung wird einem unwohl. Wie das für Odermatt selbst sein muss? Die Antwort liefert er später, jetzt bleibt keine Zeit. Die Warteschlange reicht mehrere Meter aus dem Laden heraus.

Bereits 50 Minuten vor seiner Ankunft stehen die ersten Kinder bereit, obwohl der Herren-Slalom noch in vollem Gange ist. «Ein Autogramm von Odermatt ist mir viel wichtiger», meint ein kleiner Fan, der ganz vorne steht. Die Kids sind nervös. «Wie soll ich ihn ansprechen?», fragt ein Bub seine Kollegin. «‹Odi› oder Marco, wobei eigentlich müssten wir ihm Herr Odermatt sagen», entgegnet sie. Einig werden sich die beiden nicht.

Als sie schliesslich vor ihm stehen, scheint alles vergessen. Nur ein leises «Hallo» bringen sie über ihre Lippen. Odermatt reagiert brillant, nimmt die beiden in die Arme, posiert für ein Bild, verteilt Autogrammkarten.

Die strahlenden Augen der Kinder verraten: Für sie ist ein Traum in Erfüllung gegangen. Odermatt schwingt den Stift, unterschreibt auf Flaggen, Autogrammkarten oder Dächlikappen. Das mit Abstand beliebteste Autogrammsujet ist die Handyhülle. «Das ist mittlerweile normal», so Odermatt, der auch jetzt nicht die Geduld verliert.

Zahlungen erledigt «Odi» selbst

Zum dritten Mal in Folge gewinnt Marco Odermatt die grosse Kristallkugel des Gesamtweltcups. Hinzu kommt die kleine Kugel für den Besten im Riesenslalom. Am Wochenende kann er sich den Sieg in der Abfahrts- und Super-G-Wertung sichern. «Ich gebe noch einmal Vollgas.» Danach winken ein paar freie Tage. Bevor die letzten Materialtests anstehen.

Allein in dieser Saison heimst Odermatt Preisgelder in der Höhe von über 800'000 Franken ein. Inklusive Sponsoring-Einnahmen dürfte sein Jahressalär bei deutlich über zwei Millionen Franken liegen. Zahlen, bei denen man schon einmal den Überblick verlieren könnte. Nicht so Odermatt, wie die Aussage von Schiendorfer beweist: «Marco löst jede Zahlung selber aus. Vater Walti und das Management bereiten ihm alles vor, aber Marco schickt sie ab. Er ist auch neben der Piste der Leader. Das ist uns allen wichtig.»

Und noch etwas imponiert Schiendorfer. «Andere Skifahrer nerven sich, wenn beim Frühstücksbuffet etwas fehlt. Marco nimmt einfach das, was es gibt und worauf er Lust hat. Er macht aus jeder Situation das Beste.»

Zurück im Sportgeschäft. Die 30 Minuten sind um, Odermatt erfüllt die letzten Wünsche. Er steht erst auf, als auch das letzte Kind eine Autogrammkarte von ihm in den Händen hält. Dann verschwindet er durch den Hinterausgang. Wieder an der frischen Luft, gesteht Odermatt, dass er auf die Aufmerksamkeit neben der Piste verzichten könnte. «Ich bin nicht gern ein Star.»

Seine Leidenschaft ist und bleibt das Skifahren. Sogar an freien Tagen ist der Nidwaldner auf der Piste. Blickt er zurück auf seine Saison, so ist ihm ein Sieg besonders in Erinnerung geblieben. «Mein grösstes Highlight war der Triumph auf der Originalabfahrt zu Hause in Wengen.»

Bier oder Wein?

Für die Schweizer Illustrierte wagt er sich dann noch auf ein ganz anderes Terrain. Odermatt posiert in einem Weinkeller im Teamhotel der Österreicher. Ist er eher der Wein- oder der Bier-Trinker? «Kommt auf die Situation an», so Odermatt. «Zu einem guten Essen trinke ich gern einen Schluck Wein. Aber auf Partys nehme ich lieber ein Bier.»

Nur zwei Wochen Ferien hat der Ski-Überflieger pro Jahr. Dazu kommen rund fünf einzelne freie Tage. Der Rest ist vollgepackt mit Trainings, Rennen, Reisen und sonstigen Terminen. Deshalb fiebert Odermatt dem April entgegen. Dann gibt es die erste richtige Auszeit des Jahres. «Ich freue mich auf den Strand.» Wohin es genau geht, ist noch nicht vollends geklärt. Der Rummel um seine Person dürfte jedoch deutlich kleiner sein als in Saalbach-Hinterglemm. «Und das ist gut so.»

Die Schweizer Illustrierte hat eine neue Podcast-Folge – hier reinhören!

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