OHNE HANDY, MIT WAFFE: EINE SKIFAHRERIN SCHAFFT EINMALIGES

Mathilde Gremaud krönt eine makellose Saison mit drei Kristallkugeln. Die Energie dafür holte sich die junge Schweizerin bei Eisbären.

Bis Anfang dieses Winters musste es immer Spass machen. Doch als für Mathilde Gremaud im Oktober in Chur die Saison begann, reichte ihr der Spass nicht mehr. «Bis dahin hatte ich nie versucht, Spass zu haben und gleichzeitig zu gewinnen», sagt sie.

Das war ihr neues Ziel. Und ihr Versuch endet am Sonntag in Silvaplana beim Saisonfinale der Freeskier überwältigend, das steht jetzt schon fest: Gremaud gewinnt alle drei möglichen Kristallkugeln, im Big Air, im Slopestyle, in der Gesamtwertung. Das ist bisher niemandem gelungen, auch keinem Mann. «Ich habe das nicht gewusst, die Interviewerin der FIS hat mir das am vergangenen Wochenende in Tignes gesagt», gibt sie zu. Und: Klar, sie sei überrascht von diesem Erfolg, «aber er kommt trotzdem nicht aus dem Nichts».

Der Vergleich mit Odermatt und Gut-Behrami

Natürlich nicht. Gremaud ist 24 Jahre alt – erst. Und hat doch in ihrem Sport bereits alles gewonnen. Einen ganzen olympischen Medaillensatz, WM-Titel, etliche Auszeichnungen an den X-Games und nun eben: drei Kristallkugeln. «Für mich sind sie wie eine Zusammenfassung der letzten sechs Jahre, in denen so viel passiert ist», sagt sie. Und als an einer Medienkonferenz sogar Vergleiche zu Marco Odermatt und Lara Gut-Behrami gezogen werden, findet sie das «schon cool».

Wenn sie von der Zusammenfassung spricht, meint sie nicht nur ihre Erfolge, sondern auch Misserfolge. Und vor allem die Zeiten, in denen sie erst wieder zu sich finden musste, wie im Sommer nach den Olympischen Spielen 2022, als sie in ein mentales Loch gefallen war, zu Saisonbeginn mit Verletzungen kämpfte und nur langsam in die Spur zurückfand. Darum sagt sie jetzt: «Der momentane Zeitpunkt fühlt sich an, als würde ich ein Kapitel abschliessen und ein neues beginnen.» Mit dem Gefühl und den neuen Erkenntnissen einer absoluten Erfolgssaison.

Sie kann ganz klar benennen, was die Schlüssel zu den sechs Siegen in acht Wettkämpfen und den zwei weiteren Podestplätzen waren. «Endlich habe ich mir und meinem Können vertraut. Endlich habe ich mir zugetraut, zu sagen: Ich will gewinnen!» Sie habe sehr viel mit ihrem Trainer Gregory Tüscher über diese Einstellung gesprochen. In diesem Winter hätten nicht unbedingt ihre (schwierigen) Tricks zu den Erfolgen geführt, «sondern wie ich sie ausführte. Dass ich jedes Mal am Start stand und mir sagte: Diesen Run lande ich jetzt sauber.»

Das ist ihr in einem heiklen Metier, wo auch äussere Einflüsse wie Wind, Sicht und Niederschläge mitspielen, auf verblüffende Weise gelungen. «Ich war nie unsicher, sprang nie unsauber, ich hatte nie die Hände am Boden.» Seit Oktober feierte die Freiburgerin in jedem Monat einen Sieg und kam in einen Flow, der alles leicht erscheinen liess. Sie fand zu einer Konstanz, die sie – und wohl auch ihre Konkurrentinnen – zuvor nie erlebt hatte, darauf sei sie stolz. «Das war die beste Gremaud bisher», sagt sie.

Sie ist eine Athletin, bei der das Glas immer halb voll statt halb leer ist, eine, die mehr die Chance als das Risiko sieht. Bei einem Skiwechsel nach der vergangenen Saison versprach sie sich nicht nur vom neuen Material viel, sondern ebenso vom neuen Team. «Ich wollte etwas Neues ausprobieren, neue Menschen kennen lernen, das hatte sicher einen positiven Einfluss auf meine Saison.» Zumal sie begeistert ist von der «superspannenden» Zusammenarbeit, «meinem Mitspracherecht und meinen Änderungsvorschlägen».

Raus aus dem Park auf die Piste

Dass sie in den Wettkämpfen nie zu Boden ging, sich nie mit den Händen retten musste, hat möglicherweise mit einer erstaunlichen Erkenntnis zu tun. Gremaud sagt: «Ich habe im vergangenen Jahr gemerkt, dass ich mehr aus den Parks heraus muss auf die Piste. Frei Ski fahren, das hat mir früher mit der Familie schon Spass gemacht.» So seien enorm viele Kilometer zusammengekommen und auch Sicherheit – und angefangen hatte es bereits im Mai mit einer exklusiven Reise nach Norwegen.

Es war ein zehntägiger Abstecher in die Wildnis, auf Spitzbergen, der Inselgruppe weit nördlich des Polarkreises. Zusammen mit ihren Schweizer Freeski-Freundinnen Sarah Hoefflin und Giulia Tanno sowie zwei Guides lebte sie auf einem Boot fernab der Zivilisation. Sie legten dort an, wo sie mit Fellen an den Ski hochsteigen wollten, um danach in unberührter Natur eine Abfahrt zu geniessen, wo zuvor kaum jemand war.

«Das war eine sehr emotionale Erfahrung. Es war sehr kalt, wir hatten keinen Handyempfang, und wir waren immer mit einer Waffe unterwegs», erzählt Gremaud. Allen sei bewusst gewesen, dass sie bei den Abfahrten nicht ernsthaft stürzen durften, weil es keine Rettung gegeben hätte. Und alle wussten, dass sie immer sehr aufmerksam sein mussten, weil dort der Eisbär zu Hause ist. «Ich bin sehr naturverbunden, ich liebe unsere Berge, aber so etwas habe ich noch nie erlebt», schwärmt sie. Die Energie, die ihr diese Reise gab, hat sie weit getragen. Sie sagt sogar: «Vielleicht ist es nicht möglich, einen Winter wie diesen zu wiederholen.»

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