RAD-REGELN BEI OLYMPIA SORGEN FüR ROTE KöPFE: «WIE EIN FUSSBALLSPIEL MIT JE SIEBEN SPIELERN»

Noch sind die Olympischen Spiele 2024 ein Streifen am Horizont. Und doch schütteln bereits unzählige Rad-Profis längst mit dem Kopf, wenn sie darauf angesprochen werden. Warum? Zuerst zu den Fakten: Das Strassenrennen am 27. Juli startet und endet bei den Jardins du Trocadéro, einer imposanten Grünanlage mitten in Paris. Der Eiffelturm liegt nur eine Brückenüberquerung entfernt. Während die Frauen 158 km weit pedalen, legen die Männer 273 Kilometer zurück. Letzteres tönt nicht nur imposant, sondern ist es auch – noch nie in der olympischen Geschichte war ein Rennen so lang. 

Für rote Köpfe sorgt aber etwas anderes: Nachdem vor drei Jahren in Tokio bei den Männern noch 128 Fahrer an den Start gehen durften, sind es in Paris gerade einmal 90 Stück. Bei einem normalen World-Tour-Rennen sind es über 170.

«Ein so langes Rennen mit so wenigen Fahrern, das hat es noch nie gegeben. Ich finde es schade, wenn der Wettkampf nicht mehr repräsentativ ist für den Sport. Keiner weiss, was das für ein Rennen wird», sagt der Schweizer Rad-Profi Stefan Küng (30). Mit dieser Einschätzung ist er nicht alleine.

Viele Stars bleiben zu Hause

Noch ist ungewiss, welche Radgenossen Swiss Cycling ins Rennen schicken wird. Die Selektion erfolgt im Juni. Küng dürfte gesetzt sein. Dahinter gibt es nur noch einen freien Platz. Warum? Weil die Schweiz in der Olympia-Selektionsphase Platz 11 belegte. «Das tut uns weh», gibt Swiss-Cycling-Geschäftsführer Thomas Peter zu. «Wir hätten gerne drei gehabt. So müssen wir einige Athleten, die eigentlich nach Paris gehören würden, daheim lassen.»

Gut möglich, dass drei Fahrer um ein Ticket stechen werden: Stefan Bissegger (25), Marc Hirschi (25) und Mauro Schmid (24). Weil das Olympia-Reglement verlangt, dass jeder Fahrer mindestens in zwei Disziplinen starten muss, hat Bissegger als starker Zeitfahrer die besten Chancen. Über dieses strenge Reglement kann Ex-Profi Michael Schär (37) nur den Kopf schütteln. «Athleten aus kleinen oder sogar exotischen Ländern gehören bei Olympia dazu. Sie machen die Spiele auch zu dem, was sie sind. Aber wenn ich daran denke, dass Weltklasse-Fahrer deshalb daheimbleiben müssen – nein, das geht gar nicht.»

Zu wenig Platz im olympischen Dorf?

Schär findet, dass bei einem Feld von nur 90 Fahrern – die grössten Teams haben vier Athleten dabei – die üblichen Proportionen eines Radrennens nicht mehr stimmen. Er macht einen Vergleich: «Das wäre, wie wenn man im Fussball die Teams auf sieben Spieler reduzieren würde. Auf einem gleich grossen Spielfeld würde sich ein völlig neues Spiel entwickeln.» Bissegger sieht es gleich wie Schär, er nennt das Ganze gar «einen Blödsinn».

Doch warum wird das Peloton bei den Strassenrennen der Männer eigentlich kastriert? Der Hauptgrund: Das IOC wollte numerischen Gleichstand zwischen den Geschlechtern – die Frauen bekommen im Vergleich zu Tokio mehr Startplätze (90 statt 67). Das ist aber nicht alles. «Es heisst, im olympischen Dorf gebe es kaum Platz. Dabei reisen die meisten von uns an, fahren die Rennen und reisen wieder ab», so Küng.

Gleichberechtigung? Ja, aber nicht so

Es stellt sich generell die Frage, wie gross die Leistungsdichte an der Spitze sein wird. Zur Erinnerung: In Rio 2016 schafften es beim Strassenrennen der Männer 63 von 144 Fahrern ins Klassement (43,75 Prozent), 2021 in Tokio waren es 85 von 128 (66 Prozent) – es nahmen jeweils Athleten von mehr als 50 Ländern teil. 

Gut möglich, dass die Ausfallquote in Paris diesmal noch höher ausfallen wird. Küng: «Es könnte wie bei einem Junioren-Rennen sein, wo nach 50 Kilometern alles gelaufen ist, weil 10 bis 20 Fahrer vorne sind und niemand nachführen kann oder will.» Für Swiss-Cycling-Boss Peter ist klar: Das wäre keine gute Werbung für den Radsport. «Ich bin überall für Gleichberechtigung. Aber unter diesen Voraussetzungen macht das einfach keinen Sinn.»

2024-04-19T10:00:10Z dg43tfdfdgfd