SCHWEIZER BEIM HäRTESTEN ULTRA-MARATHON DER WELT: «DER SPIRIT DORT IST UNGLAUBLICH»

Nur schon das Anmeldeprozedere ist eine Herausforderung. Was ihn im Frozen Head State Park in Tennessee erwartet, wusste Marco Jaeggi bis zu seiner Ankunft nicht. watson hat mit ihm über seine Erfahrung beim Barkley Marathon gesprochen.

Der Barkley 100 gilt als einer der härtesten Läufe der Welt. In diesem Jahr schaffte zum ersten Mal eine Frau den über 160 Kilometer langen Ultra-Marathon durch die Wälder des US-Bundesstaats Tennessee. Jasmin Paris war zudem die erst 20. Person überhaupt, die den Barkley 100 innert der vorgegebenen 60 Stunden abschliessen konnte. Mit dem Berner Marco Jaeggi gehörte auch ein Schweizer zu den 40 Teilnehmern. watson hat mit dem Sport- und Mentaltrainer über die Erfahrung bei dem etwas schrägen Event gesprochen.

Sie kommen gerade aus den USA zurück, wo Sie am Barkley Marathon teilgenommen haben. Wie war es?

Marco Jaeggi:

Es war schon lange ein grosser Traum von mir, da mal dabei sein zu können. Deshalb war es eine ganz spezielle Erfahrung. Auch, weil uns niemand genau sagen konnte, was uns erwartet. So wusste ich als erstmaliger Teilnehmer sehr wenig – nur schon wie das Camp aussieht, war mir unbekannt.

Wie lief die Zeit vor dem Rennstart ab?Wir sind am Dienstagmittag in den Frozen Head State Park gefahren, wo das Rennen stattfand. Dann holten sich irgendwann die ersten Leute ihre Startnummern ab und die Mastermap wurde ausgelegt. Den dort eingezeichneten Weg muss man sich dann auf die eigene Karte abzeichnen. Es ist weder eine besonders genaue noch aktuelle Karte. Ausserdem erhält man einen Beschrieb, wo die Bücher versteckt sind. Aus denen muss man jeweils eine Seite entsprechend der Startnummer herausreissen. Der Beschrieb ist aber in sehr geheimnisvollem Englisch formuliert und für Nicht-Muttersprachler nicht so einfach verständlich.

Und dann ging es los?Fast. Das Rennen beginnt jeweils zwischen Mitternacht und Mittag des festgelegten Tags. Nachdem ich meine Karte abgezeichnet und die Wegbeschreibung übersetzt hatte, konnte ich noch zwei, drei Stunden schlafen. Dann ertönte das Muschelhorn und wir begaben uns zum Startbereich. Als Lazarus Lake – der Organisator – seine Zigarette entzündet hat, liefen wir los.

Wie verlief Ihr Rennen dann?Zu Beginn konnte ich lange mit den Schnellsten mithalten. Beim siebten Buch, also nach rund der Hälfte der ersten Runde, verlor ich dann aber den Anschluss, weil mir das Wasser ausgegangen ist. Die Flaschen muss man dort, mit Ausnahme der beiden Verpflegungsstellen, im Bach füllen. Nach einer Weile, in der ich mich alleine durchkämpfen musste, lief ich wieder mit einigen mit, die schon mal dort waren.

«Nach einem Misstritt humpelte ich nur noch. Deshalb schied ich nach 24 Stunden aus, weil ich das Zeitlimit nicht mehr einhalten konnte.»

Konnten Sie da dann lange mitlaufen?Im letzten Drittel der Startrunde unterlief mir ein Misstritt, infolgedessen ich nur noch humpelte und erneut abreissen lassen musste. Ich weiss noch immer nicht, wie schwer ich mich verletzt habe. So war auch der Rest meines Rennens schwierig. Ich schaffte es zwar noch knapp unter dem Zeitlimit von zwölf Stunden, die erste Runde zu beenden, brauchte dann aber erstmal eine längere Pause.

Das war dann das Ende?Nein, nach über zwei Stunden ging ich nochmal los. Schliesslich wollte ich die Chance, dort teilnehmen zu können, richtig nutzen. Bei der zweiten Runde schaffte ich dann noch fünf Bücher, doch nach 24 Stunden schied ich aus, weil ich das Zeitlimit nicht mehr einhalten konnte.

Der Barkley Marathon gilt als einer der härtesten der Welt. Was macht ihn so schwierig?Einerseits das Navigieren. Vor allem in der Nacht, wenn man ausschliesslich im Schein der Stirnlampe unterwegs ist, ist es unglaublich schwierig, die auf der Karte eingezeichneten Bäche oder Wege zu finden. Andererseits kommt man aufgrund der enorm steilen Abschnitte nur sehr langsam vorwärts, Steigungen von 40 bis 50 Prozent sind keine Seltenheit.

Welche Hilfsmittel sind erlaubt?Auf die Runden dürfen keinerlei technische Hilfsmittel mitgenommen werden. Lediglich ein Kompass und eine Karte helfen bei der Orientierung. Ausserdem dürfen die Teilnehmenden jeweils ein Crew-Mitglied mitnehmen. Bei mir war es Constantin Hilt. Er konnte mir aber auch nur im Zielbereich helfen, indem er mir warmes Essen vorbereitete oder neue Kleider bereitlegte.

«Organisator Lazarus Lake gibt sich sehr speziell. Er hat sich aber sehr über das Sackmesser als Geschenk gefreut.»

Wie sieht es eigentlich mit Pausen aus? Gerade auch bei jenen fünf, die den Barkley 100 innert 60 Stunden geschafft haben, wie unter anderem Sieger Ihor Verys oder Jasmin Paris, die erste Frau, die das Zeitlimit jemals bezwingen konnte?Die meisten laufen durch und machen im Ziel jeweils kurze Pausen. Bei mir wären rund 20 bis 30 Minuten geplant gewesen, hätte ich mich nicht verletzt.

Als erster Frau gelingt ihr der härteste (und schrägste) Ultra-Marathon der Welt

Beim Barkley Marathon ist ja nur schon die Anmeldung eine Herausforderung. Wie sind Sie da vorgegangen?Da kann ich nicht zu viel verraten. Wenn man Leute fragt, die schon teilgenommen haben, kommt man nicht weit. Ich hätte wohl lange gebraucht, wenn ich aktiv gesucht hätte. Doch es wurde per Zufall an mich herangetragen. So wusste ich, wohin ich meine Bewerbung senden musste. Dann erhielt ich glücklicherweise das Kondolenzschreiben, das die Teilnehmenden zugesandt bekommen.

Wie ist Lazarus Lake – der Organisator – eigentlich so?Er gibt sich sehr speziell, aber ich konnte nicht ganz herausfinden, wie er wirklich ist. Ob er das vielleicht nur spielt. Er hat sich aber sehr gefreut, als ich ihm zusätzlich zum Autoschild aus der Schweiz – das zur Teilnahmegebühr zählt – ein Schweizer Sackmesser übergeben habe. Er hat wohl schon vor sechs Jahren von einem Schweizer Teilnehmer ein solches erhalten, dieses aber wohl kurz vor dem diesjährigen Rennen verloren.

Das Rennen im US-Bundesstaat Tennessee ist nur schwer mit anderen zu vergleichen. Wie haben Sie sich da vorbereitet?Ich habe viel für die Höhenmeter trainiert, in einer Woche über 12'000 Höhenmeter gemacht, und bin auch einmal das Stockhorn während zwölf Stunden lang hoch- und runtergelaufen. Ausserdem braucht man mehrere Jacken, Handschuhe, Stöcke, einen speziellen Rucksack. Es kann sehr kalt werden, aber auch ziemlich heiss, was dieses Jahr der Fall war. Zusätzlich musste ich das Navigieren üben. Ich glaube aber, dass man gerade in Barkley im ersten Jahr Erfahrungen sammeln muss, da eine sehr spezielle Einstellung nötig ist, um dort zu bestehen. Man muss improvisieren können, weil immer alles anders ist, als man denkt.

Sie sind ein erfahrener Ultraläufer. Kamen Sie am Barkley dennoch am stärksten an Ihre Grenzen?Nein, vom Körperlichen und Mentalen hätte noch mehr drin gelegen. Ich wurde ja von der Verletzung gestoppt. Da war es beim Lauf in Mauretanien, bei dem es 1200 Kilometer nonstop durch die Wüste geht, schlimmer. Als ich nach 12,5 Tagen ins Ziel gekommen bin, ist meine ganze Physis wie ein Kartenhaus zusammengebrochen und mein Körper brauchte sechs, sieben Wochen, um wieder in Normalform zu kommen.

«Wenn ich nochmal gehen könnte, würde ich sofort unterschreiben. Der Spirit dort ist unglaublich.»

Wie ziehen Sie mit wenigen Tagen Abstand Bilanz? Waren Sie enttäuscht, dass Ihr Rennen anders verlief als erhofft?Zuerst schon. Es ist ja auch mit einem Kostenaufwand verbunden, und gefühlt bin ich auch der Begleitperson Rechenschaft schuldig. Als ich dann eine Nacht darüber geschlafen hatte, sah ich es schon deutlich positiver. Die Hälfte der Teilnehmenden hat nur eine Runde geschafft, und nur schon zu diesen 40 zu gehören, ist ein Privileg. Ich kann stolz sein auf mich.

Und wie sehen die Pläne für nächstes Jahr aus?Wenn ich nochmal gehen könnte, würde ich sofort unterschreiben. Der Spirit dort ist unglaublich. Die Athletinnen und Athleten laufen nicht gegeneinander, sondern vielmehr miteinander. Der Gegner ist sozusagen das Rennen. Aber ob ich nochmal unter den 40 Teilnehmenden sein darf, weiss ich nicht.

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