SELBST AFFäREN UND DROGEN KöNNEN SEINEM MYTHOS NICHTS ANHABEN

Mit 48 und gezeichnet von Verletzungen, nimmt der Superstar am Masters einen erneuten Anlauf. Die Verfehlungen und Rückschläge haben ihn nur noch populärer gemacht.

Die Überfigur: Aus Maschine wird Mensch

Er ist wieder da. Und das bedeutet: Tiger Woods überstrahlt alle. Selbst am Masters, diesem Turnier der Turniere, das am Donnerstag startet. Und obwohl Woods kaum noch spielt: In diesem Jahr kam er bisher nicht mal auf eineinhalb Turnierrunden. Mehr liess sein Körper nicht zu.

Vor einem Jahr hinkte Woods über den akkurat gepflegten Platz von Augusta im Bundesstaat Georgia. Jeden Schritt musste er sich quälend erarbeiten. Es tat weh – schon nur vom Zuschauen. Woods wirkte wie ein alter, gebrochener Mann, dazu ungewöhnlich kalte Temperaturen und Regen. Als wäre sein Stern verglüht.

48 ist er mittlerweile, hinter ihm liegen Skandale, Unfälle und Operationen. Sein Haar ist schütter, aber er hat nicht mit einer Transplantation nachgeholfen. Er, der einst unnachgiebige Perfektionist, lässt Schwäche zu. Woods ist nicht mehr unbezwingbar, dafür aber nahbar. Das hat ihn nur noch populärer gemacht.

Einst galt Woods als nicht von diesem Planeten. Ein Schwarzer, der in der weissen und zuweilen elitären Welt des Golfs landete – und diese im Sturm eroberte. Nike stattete ihn noch vor seinem ersten Profiturnier mit einem über 40 Millionen Dollar dotierten Vertrag aus, dem damals lukrativsten überhaupt für einen Profisportler. Da war der Kalifornier 20. Der Sportartikel-Gigant musste das nicht bereuen. Geld stillte Woods’ Hunger nie. Er jagte von Erfolg zu Erfolg, wurde zur Ikone. Ende der Nullerjahre hatte er als erster Sportler eine Milliarde verdient.

Das ist lange her. Kürzlich beendete Nike nach 27 Jahren die Zusammenarbeit. Und doch hat das Golf Woods immer noch dringend nötig. Weit und breit ist keine Figur in Sicht, die ähnlich populär werden könnte wie er. Dazu gibt es seit dem Einstieg Saudiarabiens zwei Ligen, die besten Spieler treffen nur noch an den Majors aufeinander. Die Fernsehquoten sinken. Umso wertvoller wäre ein konkurrenzfähiger Woods.

Der Absturz: Affären, Verletzungen, Drogenmissbrauch

Der Superstar stand in den letzten 15 Jahren nicht nur aufgrund seines Einflusses auf den Sport und seiner Rekorde in den Schlagzeilen, sondern auch wegen zahlreicher Eskapaden. 2009 stürzte Woods nach den Enthüllungen rund um seine Affären, seinem Aufenthalt in einer Entzugsklinik und nach unzähligen miserablen sportlichen Auftritten in der Weltrangliste auf Platz 1199 ab.

Und als Woods sein Privatleben wieder einigermassen in den Griff bekommen hatte, da streikte der Körper: Mehrmals musste er sich am Rücken operieren lassen, auch seine Knie wurden in Mitleidenschaft gezogen. Er kämpfte sich zurück – und erlebte den nächsten Rückschlag. 2021 hatte er in Los Angeles einen Autounfall, sein Fahrzeug überschlug sich mehrere Male, er erlitt etliche Knochenbrüche und lag drei Monate lang im Krankenbett.

Doch nun steht Woods beim wichtigsten Turnier wieder am Start. Da, wo er vor 27 Jahren seinen ersten Majortitel gewonnen hatte. Und dort, wo er vor fünf Jahren das schaffte, was ihm niemand mehr zugetraut hatte.

Das Comeback: Triumph als Präzisionsmaschine

1876 Tage waren seit seinem letzten Turniersieg vergangen, als Woods 2018 bei der Tour Championship, dem Saisonfinale, triumphierte. Nach etlichen Operationen und langer Reha-Phase war der Dominator vergangener Tage wieder ganz oben. Und plötzlich war er auch Mitfavorit für das Masters im April darauf.

Woods hatte sein Spiel nach all den Verletzungen komplett umgestellt, er verwandelte sich vom kraftvollen Longhitter zur erbarmungslosen Präzisionsmaschine. Weil seine Knie und der geschundene Rücken den enormen Belastungen bei den Abschlägen nicht mehr standhielten, konzentrierte er sich mehr und mehr auf seine Qualitäten rund um das Green, das Kurzspiel.

Es zahlte sich aus. Nach grossem Rückstand gelang Woods beim Masters auf der letzten Runde eine der eindrucksvollsten Aufholjagden im Golf. Er gewann mit einem Schlag Vorsprung und durfte sich zum fünften Mal das Grüne Jackett des Siegers überstreifen lassen. Sein Comeback gilt als eines der grössten in der Sportgeschichte.

Die Rekorde: Über 13 Jahre an der Spitze des Sports

Der Triumph 2019 war der letzte Sieg an einem der vier Majorturniere für Woods, der in seinem Leben alles der Jagd nach diesem einen Rekord untergeordnet hatte: den 18 Triumphen von Jack Nicklaus. Woods steht nun bei 15 Siegen, doch selbst die grössten Optimisten glauben nicht mehr so recht daran, dass er weitere drei oder sogar vier Majorpokale gewinnen kann. Zu schwach ist sein Körper, zu fragil sind seine Gelenke, zu stark und agil seine Kontrahenten.

Woods selber sagte im Vorfeld des diesjährigen Masters, er glaube daran, dass er noch einmal an der Magnolia Road triumphieren kann. Doch dafür müsse einfach alles passen. Zuerst einmal dürfte sich Woods darauf fokussieren, den Cut nach zwei Runden zu überstehen. Er wäre somit der erste Spieler, der sich 24-mal in Folge beim Masters für die finalen zwei Runden qualifiziert.

Es wäre eine weitere eindrückliche Bestmarke in der Vita des 48-Jährigen, der alles gewonnen hat, was es im Golf zu gewinnen gibt, und der dominierte wie kein anderer: Woods stand in seiner Karriere insgesamt 683 Wochen auf Platz 1 der Weltrangliste (zum Vergleich: Bei Roger Federer waren es im Tennis 310 Wochen). Er gewann 82 Turniere auf der PGA-Tour und somit fast doppelt so viele wie der zweitbeste noch aktive Spieler, Phil Mickelson, der 45 Titel auf dem Konto hat.

Woods hatte bereits als 24-Jähriger alle Majorturniere gewonnen, als Jüngster in der Geschichte. Und dabei dominierte er in den Anfängen des neuen Jahrtausends, seiner besten Karrierephase, die Gegner nach Belieben: Das US Open, eines der vier grössten Turniere, gewann er 2000 mit 15 Schlägen Vorsprung. Das Magazin «Golfweek» nannte diese Leistung «das beste Golf, das je von einem Spieler gezeigt wurde».

Der Sohn: Ähnlichkeiten, die Erwartungen wecken

Es war eines der Bilder seines ersten Triumphs am Masters 1997, wie Woods am 18. Green seinen Vater Earl in die Arme schloss. Der Vater, ein Kriegsveteran, hatte seinen Sohn von klein auf zum Erfolg gedrillt. Woods mag ihn manchmal verwünscht haben, aber er wusste stets, wie viel er seinem Vater zu verdanken hatte. Nachdem dieser 2006 verstorben war, bezeichnete Tiger ihn als besten Freund und grösstes Vorbild.

Es war eines der Bilder seines letzten Triumphs am Masters 2019, wie Woods am 18. Green seinen Sohn Charlie in die Arme schloss. Der Vater hat es ihm mit seinen Eskapaden nicht immer einfach gemacht. Und doch, so muss man das annehmen, ist er Charlies grösstes Vorbild.

15 ist dieser mittlerweile, aber schon mit einem Oberkörper wie ein Mann ausgestattet, dazu der perfekte Schwung, der an seinen Vater erinnert. Einmal im Jahr treten sie an einem Vater-Sohn-Turnier an, das alles bringt Charlie Woods viel Aufmerksamkeit ein, vielleicht zu viel: Es entsteht eine Erwartungshaltung, die er nicht erfüllen kann. Als er kürzlich erstmals zur Qualifikation für ein PGA-Turnier antrat, verpasste er diese deutlich.

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