«DER MEINUNGSBEITRAG VON BEAT JANS LäSST SäMTLICHE ALARMGLOCKEN LäUTEN» – UELI MAURER GREIFT DEN JUSTIZMINISTER FRONTAL AN

Er wolle Mister Bilaterale werden, schrieben die Zeitungen von Tamedia kürzlich über den aus Solothurn stammenden FDP-Nationalrat Simon Michel. Der CEO des Medizintechnikkonzerns Ypsomed ist der neue Präsident von Progresuisse. Einer von der PR-Agentur Furrer-Hugi beratenen Gruppierung, die sich «für eine starke und konstruktive Beziehung mit der EU einsetzt».

Vielleicht war es diese Titelvergabe, die Beat Jans getriggert hat. Denn offenbar will auch er Mister Bilaterale werden. In einem Beitrag in der NZZ äusserte sich der Vorsteher des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements äusserst wohlwollend über das angestrebte Vertragspaket.

Souveräner mit oder ohne Abkommen?

Die Gegnerinnen und Gegner priesen den Alleingang und warnten vor einem Verlust an Souveränität, schrieb er. Dabei setzten sie «allerlei falsche Behauptungen» in die Welt. So werde der Europäische Gerichtshof bei Streitfragen nicht das letzte Wort haben. Bei Uneinigkeit entscheide ein paritätisch zusammengesetztes Schiedsgericht. Jans’ wichtigste Botschaft: Die Schweiz wird souveräner und handlungsfähiger, wenn sie ihr Verhältnis zur EU regelt.

Diese Aussage wiederum triggerte Ueli Maurer. In einem Beitrag, der am Freitag ebenfalls in der NZZ erschienen ist, teilt der Altbundesrat gegen Jans aus. Die Behauptung, dass die schweizerische Souveränität mit den geplanten Verträgen gestärkt werde, «sei eine fast bösartige Verzerrung der Fakten», schreibt er wütend.

Noch vor drei Jahren habe der Bundesrat die Kraft gehabt, das ausgehandelte Rahmenabkommen abzulehnen. Nun habe der Wind gedreht. Trotz unveränderter Ausgangslage und ungelösten Fragen im institutionellen Teil wolle die Landesregierung nun offenbar eine Einigung anstreben, so Maurer. Im Klartext: «Der Bundesrat will die EU-Forderungen, die immer bestritten waren, übernehmen.»

Dieser Paradigmawechsel, schimpft Maurer, sei nicht nur unverständlich, er gefährde auch die Unabhängigkeit der Schweiz. «Herr Jans» wolle offensichtlich die zweifelnden Gewerkschaften und die kritischen Parteimitglieder an Bord holen. Deshalb schreibe der SP-Bundesrat auch von «Bilateralen III». Er verwende bewusst einen positiv besetzten Begriff, «um dem ungeliebten Vertragswerk Akzeptanz zu verschaffen». Maurers Fazit: «Der Meinungsbeitrag von Bundesrat Beat Jans lässt sämtliche Alarmglocken läuten.»

Hinter dem öffentlich ausgetragenen Krach steckt mehr als das berüchtigte Temperament des ehemaligen SVP-Präsidenten. Denn Jans’ Aussagen sind nicht nur Maurer in den falschen Hals geraten. In EU-kritischen Kreisen werden Jans Aussagen seit Tagen erhitzt diskutiert. Hans-Jörg Bertschi von der Vereinigung Autonomiesuisse nennt Jans' Aussagen zur Rolle des Europäischen Gerichtshofs «Fake News», und der «Nebelspalter» ernannte den Bundesrat zum «Löli des Tages».

Rege diskutiert wird vor allem die Frage, weshalb Beat Jans den Beitrag geschrieben hat und nicht Ignazio Cassis. Wollte er dem Aussenminister die Show stehlen? Wollte er einfach seine persönliche Meinung wiedergeben? Und was bedeutet die Wortmeldung des Justizministers eigentlich mit Blick auf die Gesamtstrategie des Bundesrats? Kommt als nächstes ein kritischer Text von Albert Rösti?

Wie positioniert sich eigentlich der Gesamtbundesrat?

Mit der Bundeskanzlei und Ignazio Cassis war der Text offenbar abgesprochen. Vielleicht hat der seit Monaten schweigende Aussenminister seinen Kollegen sogar ermuntert, den Begriff Bilaterale III offiziell einzuführen. Cassis selbst traute sich bis anhin nicht. In der EU hört man die Bezeichnung ungern. Brüssel will den bisherigen bilateralen Weg mit der Schweiz nicht weiterführen und verlangt verbindliche Spielregeln.

Doch wie steht es um die anderen Mitglieder der Landesregierung? Wusste Wirtschaftsminister Guy Parmelin vom Zeitungsbeitrag? Wusste es Infrastrukturminister Albert Rösti, der derzeit mit den Details rund um das angestrebte Stromabkommen mit der EU beschäftigt ist? Wusste es Finanzministerin Karin Keller-Sutter?

Und wichtiger noch: Wird sich der Gesamtbundesrat am Ende hinter das Resultat der Verhandlungen stellen können? Oder hat der Wind tatsächlich gedreht, wie Ueli Maurer behauptet? Hat Jans die offensichtliche Unentschlossenheit im Gremium genutzt, um einen Pflock einzuschlagen?

Wie viel die Schweizer Regierung in den Verhandlungen noch herausholt, ist unklar – wie so vieles rund um die Verhandlungen mit der EU. Noch im März hatte EU-Vizekommissionspräsident Maros Sefcovic dem Wunsch der Schweiz nach einer Ventilklausel, die im Notfall die Zuwanderung drosseln könnte, eine Abfuhr erteilt. Dennoch wird hinter den Kulissen über das Instrument verhandelt. Offen ist, wie hoch der Preis ist, den die Schweiz für dieses Zugeständnis zahlen müsste – unter anderem beim geplanten Stromabkommen.

Jans weiss «um die Emotionalität des Themas und die Widersprüchlichkeit der Beziehungen zum grossen Nachbarn», wie er in seinem Beitrag schreibt. Deshalb wollte er, ein halbes Jahr vor dem geplanten Ende der Verhandlungen, «eine sachliche und faktenbasierte Diskussion anstossen, ohne die EU zum Feind zu machen».

Doch der europafreundliche Basler hat den falschen Zeitpunkt gewählt. Neben ihm äussert sich derzeit nur Simon Michel mit derselben Begeisterung über die geplanten Abkommen mit der EU. Mister und Mister Bilaterale bilden ein ziemlich einsames Paar.

Ueli Maurer hat das erkannt. Und er ist nicht allein. Am Dienstag lädt die SVP zu einer Medienkonferenz mit dem Titel «Bilanz von Bundesrat Jans: 200 Tage Versagen».

Die Gegner einer Einigung mit der EU haben ein neues Feindbild gefunden.

2024-07-26T04:29:22Z dg43tfdfdgfd