DIE GANZE DRAMATIK EINER TYPISCHEN BIELER SAISON – KOMPRIMIERT IN EINEM SPIEL

Wer wird sich im nächsten Frühjahr noch an dieses erste Spiel erinnern? Wahrscheinlich niemand mehr. Dabei war diese Partie aufschlussreich: Die Niederlage gegen die ZSC Lions (1:3) hat die Dramatik einer ganzen, für Biel typischen Saison in einem einzigen Spiel gezeigt.

Wie so oft in den letzten Jahren gab es zu viele «hätte», «wäre» und «könnte». Biels neuer Trainer Martin Filander ist eigentlich zufrieden:

«Es war unser bisher mit Abstand bestes Spiel.»

Er sei stolz auf seine Jungs und es habe ihm gefallen, wie es gelungen sei, das eigene Spiel gegen diesen starken Gegner durchzusetzen:

«Aber ich hasse es, zu verlieren.»

Er nimmt einen Teil der Verantwortung für diese Niederlage auf sich. «Ich hätte beim zweiten Tor eine Coaches Challenge nehmen müssen. Es war mein Entscheid, darauf zu verzichten.»

Yannick Zehnder schubst den Puck mit der Hand zu seinem Teamkollegen Jesper Fröden. Der Schwede trifft zum 2:1. Zu diesem Zeitpunkt schon fast gegen den Spielverlauf. Das Tor, das die Partie gegen Biel entscheidet, ist irregulär.

Nun können wir polemisieren: Wie kann es sein, dass eine mit allen Bildermaschinen ausgestattete Coaching-Crew oben auf der Tribüne einen so offensichtlichen Regelverstoss nicht sieht und den Coach unten an der Bande nicht alarmiert? Weil es eben nicht so einfach ist.

Vor dem Bieler Tor geht es in dieser Szene drunter und drüber. Der erste Gedanke: Es könnte dem Tor eine Behinderung von Goalie Harri Säteri vorausgegangen sein. Aber das war, wie die laufenden Bilder zeigen, nicht der Fall. Das Problem: Die Zeit reicht nicht mehr, um auch noch den Handpass rechtzeitig zu erkennen. Das gilt für die Crew, die auf der Tribüne die Bilder kontrolliert und für Martin Filander, der oben auf dem grossen Videowürfel die Wiederholung sieht:

«Ich habe mich zuerst auf eine mögliche Goalie-Behinderung konzentriert und den Handpass erst gesehen, als es zu spät war.»

Kurzum: Ein «Video-Drama», das irgendwie zur Hockeykultur der Bieler passt. Hätten sie die Coaches Challenge genommen, wäre ein Sieg durchaus möglich gewesen. Nach dem Ausgleich zum 1:1 dominieren sie in Mitteldrittel den Meister mit präzisem, mutigem Tempospiel. «Es ist erstaunlich, was ein Erfolgserlebnis ausmachen kann», sagt Martin Filander.

In der Tat: Nach dem Ausgleich spielen fast alle Bieler so, als seien sie nun ein paar Zentimeter grösser, ein paar Kilo schwerer und ein paar Stundenkilometer schneller. Die Zürcher biegen sich unter dem gegnerischen Druck. Aber sie brechen nicht. Hätten die Bieler ein zweites Tor erzielt – und Möglichkeiten dazu hatten sie – wäre der Sieg möglich gewesen.

Vielleicht wäre dieses zweite Tor gelungen, wenn Toni Rajala – er hatte den starken Simon Hrubec bereits mit einem Kunstschuss zum 1:1 erwischt (31. Minute) – die Partie hätte beenden können. Christian Marti, der Mann mit dem härtesten Wumms seines Teams, wuchtet den Puck aufs Bieler Tor. Toni Rajala, der hinten aushilft, wird am Bein vom Puck getroffen, spürt im ersten Augenblick keinen Schmerz und fährt den Konter. Aber dann dreht er ab, verschwindet noch vor der zweiten Pause in der Kabine und kommt nicht mehr zurück.

Sportchef Martin Steinegger sagt nach dem Spiel, eine Diagnose sei noch nicht möglich. Was wir aus dieser Begebenheit lernen: Kunstschützen und Topskorer sollten sich nicht durch Defensivarbeit in Gefahr begeben.

Wichtige Spieler, die wegen Blessuren fehlen oder im Laufe einer Partie aufgeben müssen – wahrscheinlich hat keine andere Mannschaft dieses Pech so oft wie Biel. Jere Sallinen muss wegen einer gebrochenen Rippe zuschauen, Leitwolf Gaëtan Haas sitzt wegen Rückenbeschwerden auf der Tribüne. Die Mittelachse ist geschwächt. In Bestbesetzung wäre Biel wohl dazu in der Lage gewesen, diese Partie zu gewinnen.

Damien Brunner stürmt seit 2018 für die Bieler. Er weiss um die Dramatik, die Biels Hockey-Kultur innewohnt. Trotzdem ist er auch nach der unglücklichen Startniederlage optimistisch. Er rühmt die Crew um den neuen Cheftrainer Martin Filander. Die Tatsache, dass es gelungen ist, das Tempo der ZSC Lions – mit ziemlicher Sicherheit die schnellste Mannschaft der Liga – problemlos auszuhalten, stimmt ihn zuversichtlich. Aber gerade, weil er eben die Dramatik der Bieler Hockey-Kultur aus eigener Erfahrung kennt, sagt er auch:

«Wir dürfen keine Punkte leichtsinnig vergeben. Das mag es diese Saison nicht leiden.»

Haben die Bieler gegen die Zürcher leichtsinnig Punkte liegen gelassen? Nein. Sie haben ganz einfach in einer intensiven, schnellen und dramatischen Partie kein Glück gehabt. Es war – wie Trainer Martin Filander richtig sagte – ein Spiel, das nach dem 1:1 in jede Richtung hätte kippen können. Die Hockeygötter haben gewürfelt und die Würfel sind für die ZSC Lions gefallen. Wohl waren die Zürcher noch weit von der meisterlichen Magie des letzten Frühjahres entfernt. Aber sie waren nie nachlässig, nie arrogant, immer fleissig und aufmerksam und deshalb ist der Sieg verdient.

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Es hätte zwar auch anders herauskommen können. Aber fast immer dann, wenn «hätte», «wäre» und «könnte» eine zentrale Rolle spielen, verlieren die Bieler. Die ganze Dramatik einer typischen Bieler Saison, all die verschiedenen «wäre», «hätte» und «könnte», haben wir gleich zum Auftakt komprimiert in einem einzigen Spiel erlebt.

Es könnte es für Biel die Saison der vielen «wäre», «hätte» und «könnte» werden.

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