DREI JAHRE NACH DEM «HAU DRAUF»-SKANDAL: WIEDER DRAMA, WIEDER TRäNEN BEI DEN DEUTSCHEN FüNFKäMPFERINNEN

Im Modernen Fünfkampf in Paris hätten sich die deutschen Frauen mit Olympia versöhnen wollen. An den letzten drei Sommerspielen war ihnen auf dem Weg zu Medaillen jedes Mal das Springreiten zum Verhängnis geworden – mit Tokio 2021 als Tiefpunkt, als das zugeloste Pferd Saint Boy bockte und damit die Gold-Favoritin Annika Schleu aller Chancen beraubte.

Die Athletin versuchte damals verzweifelt und unter Tränen, ihr überfordertes Pferd mit der Gerte anzutreiben, damit es vielleicht doch noch Hindernisse überspringt. Bekräftigt wurde Schleu von ihrer Bundestrainerin, die für TV-Zuschauer hörbar rief: «Hau mal richtig drauf!»

Die verstörenden Bilder vom Eklat gingen um die Welt, dieser Umgang mit dem Pferd rief Empörung hervor. Schleu fand sich am Pranger wieder; sie erhielt Hassbotschaften und Morddrohungen. Daraufhin zog sie sich aus sozialen Netzwerken zurück. Und sie wurde wie ihre Bundestrainerin wegen des Verdachts der Tierquälerei angezeigt. Das Verfahren wurde später eingestellt, Schleu zahlte 500 Euro an eine gemeinnützige Einrichtung.

Es gab auch Experten, die meinten, es sei weit weg von Tierquälerei gewesen, was Schleu betrieben habe. Da fänden viel bedenklichere Vorgänge statt, die angezeigt werden müssten. Und einige Fünfkämpfer schmerzte es, wie sich andere Reitsportler von ihnen abgrenzten. Indem diese zum Beispiel sagten, man solle den Fünfkämpfern besser ein Fahrrad hinstellen – obwohl in den Disziplinen der Kritiker punkto Tierschutz auch nicht alles zum Besten bestellt ist.

Ihre Olympiageschichte sei «leider kein Hollywoodfilm»

Annika Schleu gab sich nach Tokio reuig. Die Berlinerin heiratete (und heisst heute Zillekens), gebar eine Tochter namens Frieda – und kündigte an, dass sie in Paris mit Olympia Frieden schliessen wolle, es werde der letzte Wettkampf ihrer Karriere. Sie wolle bei ihrem Abschied aus dem Spitzensport ein gutes Bild abgeben. Also trat sie am Samstag vor der Märchenkulisse von Schloss Versailles mit dem Vorsatz an, sich ein Happy End zu bescheren.

Doch, o weh! Als ihr Wallach Arezzo de Riverland eine Stange riss, geriet er ins Straucheln – und verweigerte am folgenden Hindernis. Der TV-Kommentator fragte: «Wird das hier wieder zum Fiasko?» Zillekens reagierte besonnen. Und brachte den Ritt beherrscht zu Ende. Nur: Sie verlor wegen der Verweigerung so viele Punkte, dass sie den Finaleinzug verpasste. Die mehrfache Welt- und Europameisterin muss ohne Olympiamedaille abtreten.

Im Interview mit der ARD war sie enttäuscht, aber gefasst. Sie meinte, das passe halt zu ihrer Olympiageschichte, diese sei «leider kein Hollywoodfilm». Sie könne ihrem Pferd keinen Vorwurf machen, es habe gut auf sie gehört. Keine Spur von Kontrollverlust. Es scheint bei ihr wahrhaftig ein Reifeprozess eingesetzt zu haben. Die deutsche Olympiadelegation hatte extra für den Wettkampf eine Sportpsychologin und einen Reitexperten nach Versailles beordert. Aber wer denkt, das deutsche Fünfkampfdrama sei damit abgehakt, der irrt.

Denn die andere Deutsche, Rebecca Langrehr, erlebte in Paris einen Absturz von noch grösserer sportlicher Tragik. Als sie, die schon WM-Titel gewonnen hat, am Einreiten war, um das ihr bis dahin unbekannte Pferd kennenzulernen, stürzte sie vom Rücken des Tieres und fiel auf den Hinterkopf.

Langrehr erholte sich zwar schnell, aber als sie wieder auf das Pferd steigen wollte, wurde ihr das verwehrt. Es hiess, eine Veterinärin habe das Pferd gecheckt und für keinen weiteren Ritt zugelassen. Und ein Anrecht auf einen Pferdetausch gab es nicht. Die deutsche Equipe legte Protest ein und zweifelte den Ablauf des Checks an. Ohne Erfolg. So gab es für Langrehr das brutale Verdikt: null Punkte! Damit fiel sie an den Schluss des Klassements – Medaille ade.

Es sei mit dem Reiten «wie verhext», schrieb die Deutsche Presse-Agentur. Langrehr dürfte sich immerhin noch eine weitere Olympia-Gelegenheit bieten. Worüber sie womöglich nur mässig traurig ist: Das Reiten wird 2028 in Los Angeles keine Fünfkampfdisziplin mehr sein, es wird nach Paris durch einen Hindernislauf ersetzt. Der Druck auch aus Tierschützerkreisen war zu hoch – und die Sportverbände handelten.

Zillekens wird Lehrerin – ihr Ehemann bleibt Fünfkämpfer

Eigentlich hatte man gehofft, dass es bei dieser Dernière des Reitens zu keinen Problemen mehr kommt. Die Hindernisse in Versailles waren leichter konzipiert als jene 2021 in Tokio. Und es hiess, die Pariser Pferde seien einfacher zu reiten, weil sie sonst im französischen Sicherheitswesen zum Einsatz kämen und sich gewöhnt seien, fremde Reiter zu tragen. Zudem wurden die Athleten angehalten, die Pferde nach ihrem Einsatz zu loben. Ohne Misstöne ging es am Ende doch nicht. Weshalb es wohl eine gute Idee ist, aufs Reiten künftig zu verzichten. Ob ein Hindernislauf die richtige Alternative ist, ist eine andere Frage.

Annika Zillekens wird diese Entwicklung fortan distanzierter beobachten. Und sich neben der Mutterschaft auf ihren Lehrerberuf konzentrieren. Aber sie wird mit ihrer Sportart verbunden bleiben, nur schon, weil ihr Ehemann zu den besten Fünfkämpfern Deutschlands gehört und die Karriere fortsetzt.

Trotz ihrer ernüchternden Olympiabilanz sagte Zillekens zum Abschied, sie habe Frieden schliessen können mit dem, was in Tokio passiert sei. Versailles scheint für Versöhnungen aller Art ein idealer Ort zu sein.

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