SICHERHEITSEXPERTE ZU DEN ANGRIFFEN AUF ZUGNETZ VOR OLYMPIA: «LINKSEXTREMISTEN VERSUCHTEN IMMER WIEDER, DAS TGV-NETZ LAHMZULEGEN»

Wenige Stunden vor der Eröffnung von Olympia in Paris sind am Freitagmorgen landesweit Anschläge auf das französische Bahnnetz verübt worden. Mehr als 800'000 Bahnreisende sind von Einschränkungen betroffen. Sicherheitsexperte Peter Neumann ordnet den Angriff ein.

Das olympische Feuer ist noch nicht entzündet – und trotzdem brennt es schon in Frankreich. Denn am Tag der Eröffnungsfeier der Olympischen Sommerspiele von Paris gab es Brandanschläge auf mehrere Hochgeschwindigkeitsstrecken des TGV. Die Sabotageakte ereigneten sich koordiniert am Morgen um 4 Uhr. 

Nach den Angriffen hat die Staatsanwaltschaft Ermittlungen wegen Schädigung von Staatsinteressen aufgenommen. Es bestehe zudem der Verdacht auf Sachbeschädigung mit gefährlichen Mitteln in einer organisierten Bande sowie Angriffe auf Datenverarbeitungssysteme, teilte die Staatsanwaltschaft am Freitag mit.

Im Fall einer Verurteilung drohen den Tätern bis zu 15 Jahre Freiheitsstrafe und 225'000 Euro Geldstrafe. Für die Ermittlungen ist die Abteilung zur Bekämpfung organisierten Verbrechens zuständig.

Premierminister Gabriel Attal sprach von «vorbereiteten und koordinierten Sabotageakten» gegen Anlagen der SNCF. Nach Angaben der französischen Bahn handelt es sich um Brandstiftung an Leitungen mit Glasfaserkabeln, die für den Zugbetrieb notwendig sind.

An drei verschiedenen Stellen ausserhalb von Paris wurden unter anderem Signalanlagen angezündet oder Kabel durchtrennt. Ein vierter Angriff in Vergigny im Südosten konnte verhindert werden.

Peter Neumann (49), Professor für Sicherheitsstudien am King's College in London, ordnet den Angriff für Blick am Freitagnachmittag ein. 

Wer steckt dahinter?

Es gebe noch keinen Beweis, keine Bestätigung, kein Bekennerschreiben, sagt Neumann. «Aber die französischen Behörden ermitteln in Richtung Linksextremisten.» Mit Linksextremisten meint der Sicherheits- und Terrorismusexperte Anarchisten, die den Staat ablehnen. Er sagt: «In den letzten drei bis vier Jahren versuchten Linksextremisten immer wieder, mit solchen Aktionen das TGV-Netz lahmzulegen. Der Modus Operandi des heutigen Angriffs passt zu den Linksextremisten.» 

Dass es Dschihadisten waren, schliesst Neumann hingegen aus. «Denn die wollen töten, nicht nur sabotieren. Die gehen direkt auf Personen. Die versuchen nicht, irgendwelche Kabel durchzuschneiden.» Dschihadisten seien natürlich für Olympia eine Bedrohung. «In diesem Fall waren sie es aber nicht.»

Spielt Russland eine Rolle?

Das könne man noch nicht definitiv sagen, so Neumann. Er erklärt: «Es gibt drei Gruppen von Akteuren, die Olympia schaden wollen könnten: Terroristen. Aktivisten – Klima oder Palästina. Und feindliche staatliche Akteure – dazu gehört Russland.» Aber: Konkrete Hinweise auf eine russische Täterschaft gebe es aktuell nicht.

Warum der Angriff auf die Bahninfrastruktur?

Neumann sagt: «Die Saboteure nutzen Olympia, um auf sich aufmerksam zu machen.» Aus Sicht der Linksextremisten sei Olympia etwas für die Luxusklasse, für die Superreichen. «Sie finden, es gibt die Realität in Frankreich nicht wider. Sie möchten, dass die Spiele misslingen, wollen ein Verkehrschaos veranstalten. Dass Bilder von ratlosen Menschen an Bahnhöfen um die Welt gehen. Sie wollen ein schlechtes Image des Landes transportieren.»

Wieso passierte es am Eröffnungstag der Olympischen Spiele?

Neumann stellt klar: «Heute schaut die ganze Welt auf Frankreich.» Die Täter vollzogen die Aktion früh am Tag. «So, damit es den ganzen Tag in den Medien ist. Und damit an diesem heutigen wichtigen Tag der Verkehr lahm liegt.»

Sind während Olympia weitere Angriffe oder Sabotageakte zu erwarten?

Er könne sich gut vorstellen, dass sich zum Beispiel ein Klimaaktivist auf der Leichtathletik-Laufbahn festklebe, sagt Neumann. «Auch die Dschihadisten haben Olympia fest im Blick. Ich mache mir Sorgen, da die Spiele so gross sind.» Der Eröffnungsfeier auf dem Fluss steht Neumann skeptisch gegenüber: «Schwierig für die Sicherheitsbehörden. Es ist eine Einladung für Leute, die auf ihr politisches Ziel aufmerksam machen wollen.» Er sagt: «Ein Angriff an Olympia ist die einfachste Methode, um Aufmerksamkeit zu erregen. Denn die ganze Welt schaut zu.» Um die Spielstätten selbst macht sich der Sicherheitsexperte weniger Sorgen. «Die sind ziemlich sicher. Man kann ein Stadion absperren, Personen durchsuchen. Angst macht mir das Drumherum. Etwa das Zentrum von Paris.»

Wie hoch ist die Terrorgefahr während Olympia in Paris?

Neumann sagt: «Mittel bis hoch.» Die Terrorgefahr steige wieder. «In den letzten Monaten verzeichneten wir einen deutlichen Anstieg von dschihadistischen Anschlagsversuchen. Da müssen wir wieder verstärkt drauf schauen.» 

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