ÖSTERREICHER JULIAN SCHüTTER IST SKIRENNFAHRER UND KLIMAAKTIVIST: DER ABFAHRER, DER IN SEINEM TEAM ALS NESTBESCHMUTZER BETRACHTET WIRD

Die Matterhorn-Abfahrt wird von den Klimaaktivisten verflucht. Ein Klimaaktivist wird vom ehemaligen Erfolgscoach von Beat Feuz trainiert. Die Rede ist von Österreichs Speed-Hoffnung Julian Schütter.

Julian Schütter (25) wuchs in Schladming (Ö) in einem Umfeld auf, in dem die Politik der Erzkonservativen ÖVP die weitaus grössere Zustimmung findet als das Parteiprogramm der Grünen. Dass sich Schütter in seiner Denkweise in eine andere Richtung entwickelt hat, ist auf ein Skitraining zurückzuführen, das er in seinem neunten Lebensjahr auf dem Dachstein-Gletscher absolviert hatte. Der Trainer erklärte dem sportlich talentierten Burschen, wie stark und schnell sich dieser Gletscher zurückentwickelt habe. Dieses Erlebnis hat im Buben aus der Steiermark den Klimaschützer geweckt.

Was viele als grossen Widerspruch sehen: Neben seinem Kampf für den Umweltschutz hat Schütter den Sprung in Österreichs Nationalteam in einer Sportart geschafft, die wegen vieler Flugreisen sowie Trainings und Wettkämpfen auf Gletschern als nicht besonders umweltfreundlich gilt. Schütter stellt seinen Kritikern eine Gegenfrage: «Was ist falsch daran, wenn ich mich für das Überleben meiner Sportart einsetze?»

Mit dem Zug zu den Weltcuprennen

Um die Klimaerwärmung einzudämmen, hat der Abfahrtsspezialist seinen Wohnsitz von Schladming nach Innsbruck verlegt. Weil er in der Tiroler Metropole sehr viel näher an Österreichs wichtigsten Trainings-Skigebieten dran ist, kann Schütter seinen persönlichen CO2-Ausstoss verringern. In der Region Innsbruck ist er ausschliesslich mit dem Velo unterwegs. Für die Wettkämpfe in Zentraleuropa und die Trainingscamps reist er meistens mit dem Zug an.

«Es ist wirklich beeindruckend, was Julian für seine Vision von einer besseren Welt alles auf sich nimmt», erzählt Österreichs Speed-Cheftrainer Sepp Brunner. «Weil die Zugverbindungen in die Skigebiete vielfach richtig schlecht sind, trifft Julian oft vier bis fünf Stunden später als sein Team im Hotel ein», verrät Brunner, der vor seiner Tätigkeit beim ÖSV als Swiss-Ski-Coach Sonja Nef, Daniel Albrecht, Carlo Janka und Beat Feuz zu Weltmeistern geformt hat. Im Austria-Ski-Team gibt es aber einige, denen Schütter ein Dorn im Auge ist. Einige bezeichnen ihn hinter vorgehaltener Hand als «Nestbeschmutzer».

Im Abfahrtsteam kam es im letzten Winter immer wieder zu Reibereien, weil Veganer Schütter seinen Mannschaftskollegen den Fleischkonsum austreiben wollte. Einer der Abfahrer hat sich bei der Team-Leitung mit folgenden Worten beschwert: «Wenn mir der Schütter noch einmal meinen Fleischkonsum madigmachen sollte, werde ich ihm eine reinhauen.»

Sepp Brunner hat seinen Schützling bis jetzt immer verteidigt: «Ich mag den Julian, er ist ein netter Bursche. Aber natürlich habe ich ihn bis jetzt vor allem deshalb gestützt, weil ich von seinen sportlichen Qualitäten überzeugt bin.»

Sein riesiges Potenzial deutete dieser aussergewöhnliche Typ im letzten Winter bei der ersten Hahnenkamm-Abfahrt an, als er mit der Startnummer 49 mit drittbester Zwischenzeit unterwegs war. Doch weil der vor ihm gestartete Rennfahrer kurz vor dem Ziel stürzte, wurde Schütter abgewunken. 24 Stunden später riss er sich auf seinem zweiten «Streifzug» bei einem harmlos anmutenden Ausrutscher das Kreuzband.

Solidarisierung mit den Klimaklebern

Danach sind Dinge vorgefallen, die auch seinem grössten Beschützer Sepp Brunner geärgert haben. «Anstatt eine seriöse Reha zu machen, hat er das Thema Klimaschutz in meinen Augen zu stark forciert. Meines Wissens ist er für einen Vortrag über den Umweltschutz viermal nach Paris gefahren. So hat er mindestens einen Monat Zeit verloren, welche für seine Zukunft als Skirennfahrer so wichtig gewesen wäre.»

Neben den von Brunner angesprochenen Vorträgen in Paris erntete Schütter auch viel Kritik, weil er sich öffentlich mit den Klimaklebern der «letzten Generation» solidarisiert hat. Als diese Gruppierung im Juli in Innsbruck eine Strassensperre verursachte, hielt Julian ein Kartonschild mit der Aufschrift «heldenhaft» hoch.

«Ich erwarte von Julian, dass er seinen Fokus nun voll auf den Skirennsport richtet. Ansonsten werde ich nach dieser Saison wenig Argumente für seinen Verbleib im ÖSV-Kader haben», macht sein Coach klar. Damit es am ersten Dezember-Wochenende bei den Rennen in Beaver Creek mit dem Weltcup-Comeback klappt, hat Schütter vor ein paar Tagen das getan, was dem Klimaaktivisten auf der Weltcup-Tour die grössten Gewissensbisse verursacht – er ist im Flugzeug ins Trainingscamp in den USA gereist …

2023-11-19T16:21:12Z dg43tfdfdgfd